Ein Roman nicht nur für Erwachsene
In der Woche vom 21. bis 27. Oktober 2013 finden in der Akademie des Jüdischen Museums Berlin Lesungen, Workshops und ein Publikumstag unter dem Titel »VielSeitig. Eine Buchwoche zu Diversität in Kinder- und Jugendliteratur« in Kooperation mit Kulturkind e.V. statt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedener Abteilungen haben dafür zahlreiche Bücher gelesen, diskutiert und ausgewählt. Einige dieser Bücher sollen in den nächsten Monaten hier vorgestellt werden.
Kürzlich wurde zum dritten Mal der Hohenemser Literaturpreis verliehen, ein Preis für deutschsprachige Autoren nichtdeutscher Muttersprache. »Diese sollen in literarisch überzeugender Weise nicht nur migrantische Erfahrungen, sondern in freier Themenwahl das Ineinandergreifen verschiedener kultureller Traditionen und biographischer Prägungen vor dem Hintergrund einer sich beständig wandelnden Gegenwart thematisieren – einer Gegenwart, in der Sprache und Literatur wie auch Identität keinesfalls als Konstanten anzusehen sind«, heißt es in der Ausschreibung.
Der erste Preisträger war 2009 Michael Stavarič, der Autor von Gaggalagu. In diesem Jahr hat den Preis nun Saša Stanišić bekommen, der 1978 im bosnischen Višegrad geboren wurde und 1992 als Bürgerkriegsflüchtling nach Deutschland kam.
In seinem ersten, 2006 erschienenen Roman Wie der Soldat das Grammofon repariert lässt er den jungen Aleksandar Krsmanović, den »Chefgenossen des Unfertigen«, in den buntesten Farben todkomische und herzzerreißend traurige Geschichten über das Leben in Višegrad erzählen.
»Ich bin gegen das Enden, gegen das Kaputtwerden! Das Fertige muss aufgehalten werden! Ich bin der Chefgenosse für das Immerweitergehen und unterstütze das Undsoweiter!«
Doch mit dem Krieg endet dieses »Immerweitergehen« unwiderruflich und Aleksandar flüchtet mit seinen Eltern nach Deutschland. Aleksandar versucht die Zeit »als alles gut war« zurückzuholen, indem er sie neu erfindet. Nach ein paar Jahren in Deutschland schreibt Aleksandar seiner Freundin Asija, die in Bosnien geblieben ist:
»Asija, ich kann Nazis weismachen, dass ich aus Bayern bin, ich sage: stamme. Ich kann mich auf Kosten der Friesen amüsieren, die sind so ein bisschen wie die Montenegriner bei uns – wenn ihr Reißverschluss heute nicht offen ist, pinkeln sie halt morgen. Ich freue mich für fünf Nationalmannschaften. Wenn jemand sagt, ich sei ein gelungenes Beispiel für Integration, könnte ich ausflippen.«
Auch wenn Wie der Soldat das Grammofon repariert nicht als Jugendbuch geschrieben wurde, finden wir, dass der Roman viel zu gut ist, um ihn nur Erwachsenen zu empfehlen.
Den Hohenemser Literaturpreis erhält Saša Stanišic übrigens gar nicht für diesen wunderbaren Roman, sondern für einen Ausschnitt aus seinem zweiten, noch unveröffentlichten Roman, dessen Handlung in einem Dorf in der Uckermark, also im Norden Brandenburgs, angesiedelt ist. Weil Aleksandar Krsmanović, der Chefgenosse des Unfertigen, ausflippen würde, wenn wir hier irgendetwas über Integration und so weiter sagten, lassen wir es lieber bleiben.
Christine Marth, Publikationen
Saša Stanišić, Wie der Soldat das Grammofon repariert, München: Luchterhand Literaturverlag 2006 (Den Roman gibt es auch als Taschenbuch: btb 2008)
PS: Saša Stanišić hat mit einem anderen Ausschnitt aus dem unveröffentlichten Roman einen weiteren Preis gewonnen, den Alfred-Döblin-Preis. Diesen Ausschnitt können Sie hier anhören.
Ich finde den Roman von Sasa Stanisic großartig! Für mich ist es eine Fortsetzung der ‚Brücke über die Drina‘ weil es so wunderbar die tragische Geschichte von Visegrad in den letzten 30 Jahren schildert. Ich bin gespannt auf das nächste Buch von ihm!