56.250. Das ist die Zahl, die mir unsere Sammlungsdatenbank anzeigt, wenn ich nach allen unseren Beständen suche. 56.250 Datensätze, die zum größten Teil einzelne Objekte beschreiben, zum Teil aber auch ganze Sammlungskonvolute. 6.300 davon sind mittlerweile online zu sehen. Die Freigabe der einzelnen Datensätze ist von gemischten Gefühlen begleitet: Zu vielen unserer Objekte hätten wir sehr viel zu sagen. Und viele unserer Objekte sprechen nicht für sich selbst. Dem Teddybär sieht man nicht an, dass er in die Emigration mitgenommen wurde. Wie er gewinnen viele Dokumente und Fotografien ihre Bedeutung nur aus dem biografischen oder dem politischen Zusammenhang. Sie brauchen also eine ausführliche Beschreibung und Schlagworte, die dem Besucher unserer Seite helfen, weitere Objekte zum selben Thema zu finden.
Gleichzeitig müssen wir pragmatisch vorgehen. 15-30 Minuten Arbeitszeit pro Objekt sind schon viel, wenn man ein Konvolut von 250 Einheiten zu inventarisieren hat. Auch Informationen, die uns spontan einfallen, wollen verifiziert werden. Immer arbeiten wir im Bewusstsein, dass es mehr zu sagen und manches zu korrigieren gäbe, wenn wir denn die Zeit hätten, gründlicher zu recherchieren. Ein Ausflug in die Bibliothek oder gar in Archive ist nur für Sonderprojekte oder für besonders wichtige Objekte möglich; umso mehr nutzen wir digitale Quellen.
Man gewöhnt sich schnell an die leichte Verfügbarkeit von Informationen. Vor zehn Jahren musste ich, um alte Berliner Adressen zu durchforsten, noch Mikrofiche für Mikrofiche ins Lesegerät der Staatsbibliothek schieben. Da blieb es oft beim guten Vorsatz – die Zeit reichte nicht aus. Jetzt reicht ein schneller Blick auf die Website der Zentral- und Landesbibliothek und ich kann meine Fragen beantworten: Ab wann existierte diese Firma? Hatte sie ihren Sitz überhaupt in Berlin? Hat sie vielleicht im Lauf der Jahre ihren Namen geändert? Wenn ich weiß, dass die Zigarettenfabrik »Mahala« ab 1912 »Problem« hieß, dann hilft mir das bei der Datierung der Zigarettenwerbung.
Eine wichtige Quelle sind Zeitschriften. Unser größter Bestand an Fotografien, die Sammlung Herbert Sonnenfeld, enthält viele Aufnahmen, die in jüdischen Zeitungen und Zeitschriften der 1930er Jahre publiziert wurden. Ein schneller Blick – wann wurde das Foto publiziert? Stimmt unser Titel? Gibt es Zusatzinformationen? – dann ist das Wissenschaftlerherz beruhigt und der Datensatz darf das Licht des World Wide Web erblicken.
Bitter ist es dann, wenn Quellen, die online zugänglich gemacht wurden und die man regelmäßig nutzt, wieder verschwinden. Die Abschaltung des Angebots von »Exilpresse digital« und »Jüdische Periodika in NS-Deutschland« hat uns, wie viele Fachkollegen (vgl. einen Artikel auf H-soz-u-kult), hart getroffen. Ärgerlich sind die unterschiedlichen nationalen Regelungen. Viel von unseren Beständen aus dem 20. Jahrhundert dürfen wir aus urheberrechtlichen Gründen nicht zeigen, während das Leo Baeck Institute, einen Mausklick entfernt, dieselben oder ähnliche Objekte veröffentlichen darf, weil in den USA die Regelungen des »fair use« eine viel weitergehende Bereitstellung von Materialien erlauben.
Für unsere Benutzer sind solche Unterschiede nicht verständlich. Dass das LBI ein Porträt des Künstlers Josef Oppenheimer zeigen darf, wir aber sein Pastell des Leipziger Platzes in Berlin erst 2037 zeigen dürfen, 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers, gehört zu den Einschränkungen, für die wir Verständnis nicht erwarten können.
Es gibt wunderbare, nützliche Angebote im WWW. Wir nutzen sie selbst, wir bemühen uns, eigene aufzubauen. Dass es einfacher wird, Zugang zu den Wissensbeständen der Kultureinrichtungen zu bekommen, dafür muss noch eine Menge getan, wie nicht zuletzt der Deutsche Museumsbund in seinem Positionspapier fordert. Denn diesen Zugang zu ermöglichen, gehört auch zu den Kernaufgaben eines Museums.
Iris Blochel-Dittrich, Sammlungsdokumentation
PS: Mit den vielfältigen Auswirkungen der Digitalisierung und warum der Zugang zum kulturellen Erbe eine öffentliche Aufgabe sein sollte, beschäftigt sich diesen Donnerstag und Freitag auch die Tagung »Zugang gestalten«.