»Guten Tag, ich bin Fred Stein, Fotograf, links und ich würde gerne ein Bild von Ihnen machen.«
– Mit diesen Worten eröffnete Fred Stein das Gespräch mit den Menschen, die er gerne porträtieren wollte. Zwischen 1933 und 1967 gelang es ihm auf diese Art und Weise, über 1200 Porträts anzufertigen. Die Worte verdeutlichen nicht nur seinen Mut, auf Menschen zuzugehen. Sie zeigen auch, dass er es verstand, eine Beziehung zu den Personen aufzubauen, die er fotografierte.
Fred Stein setzte sich mit seinen Porträtierten und ihren Werken intensiv auseinander. Mit André Malraux, Arthur Koestler und Egon Erwin Kisch und vielen anderen diskutierte er das politische Geschehen in Europa der 1930er und 1940er Jahre. Zu Willy Brandt und einigen anderen Porträtierten entwickelte er eine enge Freundschaft, die bis ans Lebensende halten sollte. Brandt erinnert sich in einem Brief vom 10. Mai 1983:
»Ich begegnete Fred Stein, als wir beide Flüchtlinge waren und das totalitäre Naziregime mit den ziemlich bescheidenen Mitteln bekämpften, die uns zur Verfügung standen. Für seine Zeit war er sehr avantgardistisch, ein brillanter Fotograf, inspiriert von seinem Streben nach Gerechtigkeit und seiner Sorge um die Wahrheit, die sich in seinen Fotografien so deutlich widerspiegeln. Er war ein echter Visionär, wie die Auswahl der Menschen und Motive, die er fotografierte, eindeutig beweist.«
Lilo Stein erwähnte in einem zwei Jahre zuvor veröffentlichten Interview, dass ihr 1967 verstorbener Ehemann die Personen nicht in ein gutes Licht, sondern in das richtige Licht setzen wollte. Dieser Satz trifft das Anliegen des Fotografen auf den Punkt: Die Psychologie des Porträts, der Anspruch, authentisch zu sein, und das aufrichtige Interesse an der Person sind charakteristisch für die Aufnahmen von Fred Stein. Seine Porträtaufnahmen sind weder arrangiert noch inszeniert, sondern halten den Augenblick fest, der zwischen Fotograf und Porträtierten entstehen kann, wenn eine besondere Verbindung besteht.
Viele Personen ließen sich nicht nur einmal, sondern über Jahre hinweg mehrmals von Fred Stein ablichten – darunter auch Hannah Arendt, deren Werke Fred Stein bewunderte. In einem Brief schrieb er am 18. Februar 1964 an Arendt:
»Ihr Eichmann-Bericht hat nicht nur seinen Wert darin, dass er über den Prozess hinaus auf lange Zeit die Diskussion wach hält, er ist fast ausnahmslos auch von solcher Eindringlichkeit und Verantwortlichkeit in der Sache und im Ton, (…) das wird eine objektivere Geschichtsbetrachtung in naher Zukunft sicher bald uneingeschränkt loben (…).«
Hannah Arendt antwortete ihm am 9.März 1964 ebenfalls mit einem Kompliment:
»(…) ich bin der ehrlichen Meinung, dass Sie einer der besten zeitgenössischen Porträtfotografen sind.«
Die Ausstellung »Im Augenblick« zeigt 60 Porträtaufnahmen, in denen das psychologische Gespür von Fred Stein sichtbar wird.
Jihan Radjai, Co-Kuratorin der Ausstellung