Veröffentlicht von am 3. Januar 2015 0 Kommentare

»Eines Tages werde ich dir alles erzählen«

Farbabbildung des Covers, darauf ein Boxer in Kampfhaltun. In seinem Schatten sind Menschen zu erkennen, die auf das Tor zum Konzentrationslager zugehen

Cover der Graphic Novel © Reinhard Kleist, Der Boxer, Carlsen Verlag 2012

In den letzten Jahren begannen sich neue Tendenzen auf dem Jugendbuchmarkt zum Thema Nationalsozialismus und Holocaust abzuzeichnen, die einige Kolleginnen und Kollegen aufmerksam verfolgt haben. In den kommenden Wochen werden sie hier aktuelle und klassische Werke zum Thema vorstellen, die sie gemeinsam gelesen und diskutiert haben.

Was bedeutet das Überleben im KZ für das Leben danach? Für die Familie, die Kinder, den Menschen selbst?

Alan Scotts Vater Hertzko Haft war ein grausamer und gewalttätiger Mensch, das Gegenteil dessen, was heute als ein »guter Vater« gilt. Alan Scott Haft wusste lange nicht, weshalb sein Vater so war – und wollte es auch nicht so genau wissen.
Irgendwann erfährt er dann ein wenig mehr: »Eines Tages werde ich dir alles erzählen«, ist die kryptische Andeutung, die sein Vater während des einzigen Urlaubs macht, den die Familie gemeinsam unternimmt. Es dauert dann noch vierzig Jahre, bis Hertzko Haft seinem Sohn alles erzählt: Die Geschichte seiner Jugend als jüngstes von acht Kindern im polnischen Belchatow, den Einmarsch der Deutschen und die Schmuggelgeschäfte, mit denen sich die Brüder über Wasser halten.

schwarz-weiß Abbildung einer Seite der Graphic Novel 'der Boxer'

Ausschnitt aus der Graphic Novel, Seite 11© Reinhard Kleist, Der Boxer, Carlsen Verlag 2012

Hertzko erzählt seinem Sohn von seiner ersten Freundin und Verlobten, Leah. Er berichtet von den Einschränkungen, den Schikanen, den gewalttätigen Übergriffen, denen Juden immer mehr ausgeliefert sind. Vor allem aber erzählt er von der Zeit in den Konzentrationslagern: Er überlebte, indem er bei brutalen, von der SS inszenierten Kämpfen gegen meist völlig ausgehungerte Häftlinge boxte. Als er nach der Befreiung erfährt, dass Leah in Amerika lebt, beschließt er, ebenfalls auszuwandern. Er boxt, um berühmt zu werden. Alle sollen erfahren, dass er überlebt hat. Vor allem Leah.

Mehr soll hier gar nicht verraten werden. Nur so viel sei gesagt: Hertzko Hafts Geschichte ist brutal und haarsträubend. Alan Scott Haft hat sie aufgeschrieben und 2006 unter dem Titel »Harry Haft – Auschwitz Survivor, Challenger of Rocky Marciano« veröffentlicht. Auf Deutsch ist sie 2009 unter dem Titel »Eines Tages werde ich alles erzählen. Die Überlebensgeschichte des jüdischen Boxers Hertzko Haft« erschienen.
Reinhard Kleist hat diese unglaubliche Geschichte anhand der Biografie von Alan Scott Haft in eine Graphic Novel verwandelt. Seine Bilder geben die Gewalt, die Brutalität, die Verzweiflung, unmittelbar, aber differenziert wider. Die letzten Seiten des Buches umfassen einen Essay des Sportjournalisten Martin Krauß, der über Boxer und Boxkämpfe im KZ und über Hafts späteres Leben mit Fotos aus dem Privatarchiv seines Sohnes informiert .

schwarz-weiß Abbildung einer Seite der Graphic Novel 'der Boxer'

Ausschnitt aus der Graphic Novel, Seite 114 © Reinhard Kleist, Der Boxer, Carlsen Verlag 2012

»Der Boxer« hat uns bewegt und beeindruckt wie nur wenige Bücher zum Thema Nationalsozialismus und Holocaust und wir legen ihn allen Lesewilligen ab 14 Jahren ans Herz.

PS: Auch die Jury des Deutschen Jugendliteraturpreises war von Reinhard Kleists Graphic Novel über Hertzko Haft angetan und zeichnete das Buch als bestes Sachbuch 2013 aus. (Die Jurybegründung ist hier zu lesen.)

Nina Wilkens, Bildung
Christine Marth, Publikationen

 

 

Reinhard Kleist, Der Boxer. Die Überlebensgeschichte des Hertzko Haft
176 Seiten
Hamburg, 2012

Pingbacks und Trackbacks

Einen Kommentar hinterlassen