Rafael Roth Learning Center
Multimediales im Untergeschoss des Museums 2001–2017
Der Berliner Unternehmer Rafael Roth stiftete dem Museum ein multimediales Learning Center. Es lud Besucher*innen ein, an Computerstationen jüdische Geschichte und Kultur zu entdecken. Dokumente, Objekte, Filme, Tonaufnahmen und interaktive Spiele zeigten Vielfalt und Wechselhaftigkeit der jüdischen Geschichte in Deutschland. Es gab kleinere Stationen mit Kopfhörern, an denen man allein oder zu zweit sitzen konnte, und größere mit Lautsprechern, an denen mehrere Leute Platz fanden.
Multimediale Ausstellungen luden dazu ein, Geschichte anhand von Biografien und Ereignissen zu entdecken. Kinder konnten im Computerspiel Sansanvis Park jüdische Bräuche kennenlernen und die Arbeit des Museum erkunden. Besondere Stücke der Sammlung wurden vorgestellt und Blicke hinter die Kulissen der Sammlungstätigkeit mit Hintergründen zu Objekten und Dokumenten gewährt. Im Filmprojekt Gesichter sprachen Jüdinnen*Juden über ihr Leben in Deutschland heute.
Geschichten
Die Geschichten waren das erste Format, das für das Learning Center entwickelt wurde, als es im Jahr 2001 mit der Dauerausstellung des Museums für die Besucher*innen öffnete. Hier gab es umfangreiches Material, multimedial aufbereitet, illustrierte Lebensgeschichten, historische Ereignisse, religiöse Feste oder Themen, die sich durch die Geschichte ziehen.
Interessante Persönlichkeiten wie Bertha Pappenheim, Gründerin des Jüdischen Frauenbundes, der Dichter Heinrich Heine, der Physiker Albert Einstein, der Berliner Jazzmusiker Coco Schumann oder die Schriftstellerin Else Ury, die die Nesthäkchen-Bände verfasst hat, wurden hier vorgestellt.
Wichtige Kapitel der jüdischen Geschichte wie etwa die Revolution 1848 in Europa, die jüdische Emanzipation und die Diskussionen über Menschen- und Bürgerrechte wurden anhand von Kartenmaterial und vielen Quellentexten erzählt, Auswanderung nach Amerika und Transitstationen in Deutschland um die Wende zum 20. Jahrhundert und in den ersten Jahrzehnten desselben Jahrhunderts multimedial präsentiert.
Dinge
Im Rafael Roth Learning Center präsentierten wir außerdem multimediale Geschichten rund um Objekte unserer Sammlung. Hier konnten Besucher*innen herausfinden, wie Objekte ins Museum kamen, was sie bedeuten und wie sie benutzt wurden, bevor sie ins Museum gekommen sind.
Filme, Interviews, Animationen und Spiele beleuchteten die Hintergründe und verschiedene mögliche Perspektiven, die wir auf ein Objekt haben. Stifter*innen, Expert*innen und Zeitzeug*innen kamen in Interviews zu Wort.
Gesichter
Das Interviewprojekt Gesichter zeigte Filmausschnitte, in denen Jüdinnen*Juden von ihrem Leben im Deutschland der Gegenwart erzählen: Ihre Einstellungen zu Heimat und Religion sind so unterschiedlich wie ihre Lebensumstände, ihre Herkunft und ihr Alter.
Eine erste Interviewauswahl wurde in der Ausstellung Koscher & Co im Herbst 2009 gezeigt. Anschließend war die vollständige Anwendung an den Computerstationen des Rafael Roth Learning Centers zu sehen.
Unter dem Titel „Was heißt koscher für dich?“ sprachen die Protagonist*innen über die Bedeutung, die die jüdischen Speisegesetze für sie haben, über Rituale und Traditionen, Familie und Freund*innen, Ab- und Ausgrenzung. Sie diskutierten über die Freiheit, die im Verzicht liegt, über die Verlockungen verbotener Speisen, genauso wie über Bioprodukte und Vegetarismus.
Eine Berliner Familie erzählte vom wöchentlichen Schabbat und der Schwierigkeit, an koscheres Fleisch zu kommen. Für Jüdinnen*Juden aus der DDR und Osteuropa ist es zum Beispiel ein wichtiges Thema, wie sie nach der Wende 1989 jüdische Traditionen wiederentdeckt haben. Andere Interviewpartner*innen hingegen fühlten sich von diesen Traditionen entfremdet.
Wie kann man inmitten einer nichtjüdischen Umgebung eine jüdische Identität entwickeln und leben? Unser Interviewpartner Hillel bringt es auf den Punkt:
„Die Regeln sind irgendwie ein Vorschlag … sie sind ein Rahmen, man muss in diesem Rahmen spielen.“
Unsere Interviews dokumentierten die Bandbreite jüdischen Lebens heute. Präsentiert wurde dies als nicht-linearer und interaktiver Film, umgesetzt im sogenannten Korsakow-System des Berliner Medienkünstlers Florian Thalhofer.
Sansanvis Park
Sansanvis Park war ein Spiel, das sich an Kinder im Grundschulalter richtete und an den Computerstationen im Rafael Roth Learning gespielt werden konnte.
Im Park leben Benny, Anna, Ilana, Cem und Heinz, die auf ihrem Weg durch den Park begleitet werden konnten: Benny zeigt, wie eine Synagoge aussieht, und geht in einen Gottesdienst zum jüdischen Neujahrsfest Rosch ha-Schana. Cem spielt im Musikzelt ausgewählte Songs aus seiner Plattensammlung mit Musik aus aller Welt vor. Mit Heinz konnten die Spieler*innen unser Museum besuchen und erfahren, was dort gesammelt wird. Und Sansanvi, eine Figur aus der jüdischen Mystik, erklärte, wie alles funktioniert.
2006 wurde Sansanvis Park mit dem Deutschen Bildungsmedien-Preis Digita in der Kategorie „Privates Lernen“ ausgezeichnet.
Dank an die Mitwirkenden des Learning Centers
Das Learning Center wurde durch eine großzügige Spende des Berliner Unternehmers Rafael Roth ermöglicht und von Michael Rubin innenarchitektonisch gestaltet.
An dieser Stelle sei all denjenigen gedankt, die an der Konzeption und Entwicklung dieses einzigartigen Ortes beteiligt waren:
- den Autor*innen Ulrich Baumann, Bernd Braun, Christian Dirks, Karin Grimme, Uri R. Kaufmann, Sabine Kößling, Kolja Kohlhoff, Maren Krüger, Yael Kupferberg, Sibylle Kussmaul, Léontine Meijer, Almut Meyer, Barbara Rösch, Sylvia Rogge-Gau, Jan-Christian Schwarz, Donate Strathmann, Jutta Strauss, Martina Voigt, Christine Zahn;
- den Gestalter*innen Holger Bechtold, Michael Butschkau, Christiane John, Dirk Oßwald, Silke Oßwald, Stephanie von Ow, Kathrin Zinkmann;
- Pandora Neue Medien für die Entwicklung der Softwareumgebung Pan-Net™ ORA System, Timm Ringewaldt (autokolor) für die Gestaltung des Eingangsfilms und Sabina Nordalm für die Gestaltung der Hocker im Auditorium;
- für viele andere Tätigkeiten (Übersetzung, Datenerfassung, Digitalisierung, Redaktion, Verschlagwortung, Rechteklärung): Adam Blauhut, Arno Dettmers, Tobias Ebbrecht, Monika Flores Martínez, Dagmar Ganßloser, Louise Garrett, Jenny Gebel, Etta Grotrian, Koray Ali Günay, Edna Herlinger, Veronike Hinsberg, Henriette Kolb, Sabine Kühl, Gisela Lemke, Elke Mohr, Susan Richter, Ann Robertson, Karin Sakowski-Middelhoek, Bettina Schob, Christina Scholten, Christina Thesing, Barbara Thiele und Roswitha Ulrich.
Informationen zur Ausstellung im Überblick
- 13. Sep 2001 bis 2. Apr 2017
Lindenstraße 9–14, 10969 Berlin
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Libeskind-Bau UG
Nachruf auf Rafael Roth
Lange vor der Eröffnung, gegen Ende des Jahres 1998, entschied sich der Berliner Unternehmer Rafael Roth, das Jüdische Museum Berlin finanziell zu unterstützen. Er drückte damit sein Vertrauen in die Vision von W. Michael Blumenthal aus, einen bedeutenden Ort für die Erforschung und Vermittlung der jüdischen Geschichte in Deutschland zu schaffen. Die Unterstützung von Rafael Roth galt insbesondere der Idee, den Museumsbesucher*innn mit der Errichtung eines multimedialen Centers eine zeitgemäße Möglichkeit zu eröffnen, jüdische Geschichte in Deutschland interaktiv zu erleben. Seine großzügige Spende ermöglichte sowohl die architektonische wie auch die konzeptionelle und technische Entwicklung dieses Centers im Untergeschoss des Gebäudes von Daniel Libeskind. Als das Rafael Roth Learning Center zusammen mit der Dauerausstellung am 9. September 2001 eröffnet wurde, entsprach es genau dem, was man sich zum Ziel gesetzt hatte: „das modernste, eindrucks
vollste und wichtigste Center seiner Art“
. Auch zwölf Jahre später begeistert es als Medienlounge und Studiensaal noch immer viele Besucher*innen.
Rafael Roth ist am 21. September 2013 gestorben. Das Jüdische Museum Berlin ist ihm zu großem Dank verpflichtet und wird sein Andenken ehren.
Mirjam Wenzel und Henriette Kolb, Medien
Dieser Nachruf erschien am 24. September 2013 auf dem Museumsblog Blogerim.