Veröffentlicht von am 10. August 2012

Ein Film, drei Meinungen

»Deutsche Juden sind interessant«, kommentiert trocken der israelische Regisseur Arnon Goldfinger in seinem mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm »Die Wohnung« (הדירה 2011).

Ehepaar im Café

Gerda und Kurt Tuchler © Goldfinger / Tuchler Familienarchiv

Die Wohnungsauflösung seiner kürzlich verstorbenen deutsch-jüdischen Großmutter Gerda in Tel Aviv nimmt Goldfinger zum Ausgang seiner detektivischen Zeitreise in deren deutsche Vergangenheit, über die bis dahin in der Familie geschwiegen wurde. Entsprechend groß ist die Ratlosigkeit unter den zahlreichen Verwandten, als diese in der Wohnung über einige Ausgaben der Nazi-Propaganda-Zeitung »Der Angriff« von 1935 stolpern.

Gerda Tuchler und ihr Ehemann Kurt, die 1937 nach Tel Aviv emigrierten, hatten die Zeitung wegen der Artikelserie »Ein Nazi fährt nach Palästina« aufbewahrt, in der sie auch erwähnt wurden.

Mann und Frau vor einem Bücherregal

Arnon Goldfinger mit Edda von Mildenstein © zero one film

Sie waren es, die 1934 den Vorgänger Eichmanns im »Judenreferat der SS«, Leopold von Mildenstein, bei dieser Reise begleitet hatten. Von Mildenstein suchte in der Auswanderung die Lösung der sogenannten Judenfrage, der Zionist Tuchler plädierte für einen unabhängigen Staat in Palästina. Im Staubwirbel tauchen alte Fotos und Briefe auf und belegen, dass Von Mildenstein, seine Ehefrau und die Tuchlers eng befreundet waren, auch nach dem Krieg – ein verstörender Befund angesichts der Tatsache, dass Gerdas Mutter, die sich der Auswanderung verweigert hatte, deportiert und im Konzentrationslager in Riga ermordet wurde.

Mit den Ergebnissen seiner Recherchen konfrontiert Goldfinger im Film immer wieder seine Mutter, die von der Verstrickung ihrer Mutter nichts wissen will. Als Resultat dieser Konfrontation entsteht zwischen ihr und ihrem Sohn eine besondere Nähe, je mehr sich die Mutter – die eigentliche Schlüsselfigur des Films – einer Vergangenheit öffnet, die lange genug im Dunkeln gehalten wurde. Es ist nicht die Lust an heiklen Geheimnissen, die »Die Wohnung« auszeichnet, sondern die Begegnung der Generationen im Angesicht einer alle betreffenden Vergangenheit. Goldfinger behandelt die Wohnung seiner Großmutter wie ein Museum: Aus all dem, was sonst im Müllhaufen oder in den Antikläden landet, holt er eine spannende, an unerwarteten Wendungen reiche deutsch-jüdische Geschichte heraus.

Denis Grünemeier, Sammlungen

Dieser Film wird im Jüdischen Museum durchaus kontrovers diskutiert, wie Auszüge aus dieser E-Mail Korrespondenz belegen:

Alors, »Die Wohnung« fing vielversprechend an. Die als Familienkontroverse angelegten Unterschiede zwischen der Tochter und ihrem Sohn in ihrem emotionalen Zugang zu dem Erbe der Eltern, beziehungsweise Großeltern, blieb so lange interessant, so lange der Autor das Thema an und in der Wohnung abgehandelt hat.

Drei Menschen studieren ein Dokument

Hannah Goldfinger im Gespräch © david baltzer/bildbuehne.de

Auch die Entdeckung der Dokumente über eine gemeinsame Palästinareise der Großeltern mit Leopold von Mildenstein, einem NSDAP Genossen und Mitglied der SS, und seiner Frau, in den Rezensionen als »deutsch-jüdisches Familiengeheimnis« angepriesen, war noch ganz spannend, solange nicht deutlich wurde, worum es eigentlich geht. Spätestens seit der Aufklärung durch den Historiker Avraham Barkai, der dem filmenden Enkel das Ha’avara Abkommen zwischen dem deutschen Reich, der britischen Mandatsregierung und den Verantwortlichen des jüdischen Siedlungsgebiets in Palästina erklärte, war der zeithistorische Hintergrund des »Geheimnisses« aufgeklärt. Damit war die Geschichte für mich zu Ende. Alles, was nach diesen zwanzig Minuten kam, war von aufgesetztem Pathos, unaufrichtigen Gefühlen, banal und langweilig.

Cilly Kugelmann

In der Einschätzung des Films »Die Wohnung« stimmen wir überein. Ich habe mich tatsächlich nach circa zwanzig Minuten elendig gelangweilt. Und sehe es wie Du: die Themenexposition ließ hoffen, die Szene mit dem Antiquar, der die nutzlosen alten Bücher entsorgen will, ist die einzige Stelle, an der man ein historisches Ganzes ahnt: dass eine ganze Welt untergegangen ist. Aber der Autor war den Themen, die ihm das Schicksal in den Schoß gelegt hat, mit seiner dümmlichen Naivität und der untergründigen Vorwurfshaltung gegen eine Mutter, die angeblich nicht genug mit ihm geredet hat und angeblich sich selbst nicht genug interessiert, überhaupt nicht gewachsen.

Mutter und Sohn auf der Straße

Arnon und Hannah Goldfinger © david baltzer/bildbuehne.de

Die arme Mutter zeigte er mit einem beschränkten Sohn gestraft, der sie auch noch in ein Reihenmittelhaus schleppt, wo sie mit irgendwelchen Nazinachkommen Sekt schlürfen darf. Man erfuhr am Ende nur, dass ein Israeli mittleren Alters offenbar psychisch wie intellektuell überfordert ist, sich mit allem, was »Holocaust« bedeuten kann, zu befassen. Der Film hat mich sehr geärgert – wahrscheinlich, weil ich selten ins Kino gehe und dann nicht so einen Schrott sehen mag.

Die Wohnung, Regie: Arnon Goldfinger 2011, läuft aktuell im Kino.

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