Für Enthusiasten des Jüdischen Museums Berlin sind Ausflüge zu anderen Bauten von Daniel Libeskind selbstverständlich. Viele ähneln thematisch dem JMB, etwa das Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück oder das Jüdische Museum in San Francisco. Doch auch die Libeskind-Gebäude ohne Museumsbezug sind einen Besuch wert. Eines davon ist das Schweizer Einkaufszentrum Westside, das 2008 an einer Autobahn außerhalb Berns errichtet wurde.
Abgesehen davon, dass das Einkaufszentrum, nun ja, eben ein Einkaufszentrum ist, hat es viel mit dem Jüdischen Museum Berlin, Libeskinds erstem Bauprojekt, gemeinsam. Der genaue – oder übergenaue – Betrachter wird auch in Westside verschiedene architektonische Belege deutsch-jüdischer Geschichte entdecken können. Wie das Jüdische Museum besticht Westside mit seiner schrillen Metallstruktur, den schiefen Wänden und Schlitzen als Fenster. Aber eingebettet in die vorwiegend mit Kühen gesprenkelte Hügellandschaft, fällt es deutlich mehr aus dem Rahmen als sein Vorläufer in Berlin.
Ganz wie die dunkle Schiefertreppe, über die man wie durch einen rite de passage vom Altbau zum Neubau gelangt, liegt Westsides Haupteingang unterirdisch – in Form einer Tiefgarage. Das Einkaufszentrum selbst trägt eindeutig Libeskinds Handschrift: man ist umgeben von schiefen Säulen, Deckenstreben und Schaufenstern. Die spitzen Winkel des Jüdischen Museums passen erstaunlich gut in dieses Einkaufsparadies, in dem eine Verirrung in der Vielfalt der weltlichen Güter durchaus im Sinne der Geschäftsleute ist.
Die größte Attraktion des Einkaufszentrums ist ein Erlebnisbad namens Bernaqua. Mit seinen zwölf Becken und seinen fünf endlosen Rutschröhren ist es ein Paradestück moderner Wassertechnologie.
Offensichtlich haben die Unternehmer während der Planungsphase das Jüdische Museum besucht. Denn diese Wasserwelt ist ästhetisch wie thematisch so eng daran angelehnt, dass man beim Treiben durch die Becken mitunter glaubt, man schwämme durch unsere Dauerausstellung.
So denkt man in dieser Welt des baulichen Doppelgängers bei »Widerstand« eher an politische Opposition als an den künstlichen Gegenstrom im Flussbad. Das Salzwasserbecken in seinem dunklen Turm, in dem um Stille gebeten wird, erinnert atmosphärisch an unsere Leerräume (Voids). Wer diese kennt, ist allerdings versucht, die lilafarbenen Unterwasser-Diskolichter so schnell wie möglich auszuschalten. Die beheizte Außenanlage erweckt sommerliche Gefühle mitten im Winter. Man ist womöglich irritiert, wenn man je im Garten des Exils gewesen ist und weiß, dass die dortige Skulptur eine auf den Kopf gestellte Stadt und damit die Erfahrung der Emigration darstellen soll. Schließlich verspricht die Bernaqua-»Emotion Ride«-Rutsche eine unvergleichliche Sinneserfahrung, während die »Black Hole«-Rutsche, die durch einen dunklen Tunnel mit Blitzlichtern führt und die Rutschenden am Ende in den freien Fall entlässt, furchterregende Orientierungslosigkeit verheißt. Für mich haben beide Rutschen ihr Versprechen gehalten – wahrscheinlich aber nicht im vorgesehenen Sinn.
Naomi Lubrich, Medien