Das Rennen um die US-Präsidentschaft geht in die Zielgerade, doch dieses Mal werden deutlich weniger Amerikaner an die Urnen gehen. Vor vier Jahren, als der 76-jährige Präsidentschaftskandidat aus Arizona, Senator John McCain, das intellektuelle Leichtgewicht Sarah Palin zu seiner Vize-Kandidatin ernannte, erwogen viele seriöse Menschen die Auswanderung nach Kanada oder Australien. Die Vorstellung, dass das Amt der Vizepräsidentin für Sarah Palin, die im Interview keine einzige Zeitung nennen konnte und behauptete, sie könne Russland von ihrem Fenster aus sehen, in greifbarer Nähe gerückt war, erfüllte viele US-Bürger mit Entsetzen.
Heute herrscht zwischen Obama und Romney ein Kopf-an-Kopf-Rennen, und je nachdem, welchen Umfragen man Glauben schenkt, ist der Wahlausgang nach wie vor unentschieden. Während Obama vor wenigen Wochen noch deutlich vor seinem Rivalen lag, hat er seinen Vorsprung durch seinen unrühmlichen Auftritt während der ersten TV-Debatte mit Romney größtenteils eingebüßt. Ungeheuere Geldsummen werden in dieses Rennen investiert. So hat Sheldon Adelson, der Kasinomogul aus Nevada, 100 Millionen Dollar geboten, um Mitt Romney zur Präsidentschaft zu verhelfen. Schon den ausgeschiedenen Präsidentschaftskandidaten Newt Gingrich, dessen Hetze gegen den Iran ganz in Adelsons Sinne war, unterstützte er mit 10 Millionen Dollar. Er misstraut Obamas Bekenntnis zu Israel, glaubt nicht an die Wirksamkeit seiner Sanktionen gegen den Iran und wehrt sich natürlich auch gegen die höheren Steuern, die Obama nach seiner Wiederwahl einführen würde.
Während also viele von uns nervös auf die Umfragen schielen, gibt es Insider in Washington, die einen Sieg Obamas für möglich halten.
Seit Franklin Delano Roosevelt stimmt die überwältigende Mehrheit der jüdischen US-Bürger für die Demokraten (Ausnahmen wie die Kandidaten von 1956 und 1980, Dwight Eisenhower bzw. Ronald Reagan, die zwar einen guten Teil, aber eben nur 40 Prozent der jüdischen Wählerstimmen, hinter sich vereinigen konnten, bestätigen die Regel).
Die Messlatte hat Präsident Obama 2008 gesetzt mit eindrucksvollen 78 Prozent der jüdischen Stimmen. Das Ergebnis dürfte diese Mal jedoch wohl niedriger ausfallen. Das hat viele Gründe, nicht zuletzt der demographische Zuwachs ultraorthodoxer Juden, das konservativere Wahlverhalten jüdischer Einwanderer aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und die allgemeine Wirtschaftskrise, unter der jüdische wie nicht-jüdische Amerikaner gleichermaßen leiden.
Alle vier Jahre gibt es Stimmen, die die Massenabkehr der Juden von der Demokratischen Partei prophezeien. Doch bisher ist es dazu nicht gekommen. Jüdische Amerikaner schätzen es, Wahlmöglichkeiten zu haben, sei es beim Thema legale Abtreibung, was unter Romney/Ryan ausgeschlossen ist, oder bei der Gestaltung der Beziehung zwischen der USA und Israel, deren republikanisch-ultrachristliche Ausrichtung vielen Juden ebenso missfällt wie die Sozial- und Wirtschaftspolitik der Republikaner.
US-Diplomat Dennis Ross, renommierter Professor für Diplomatie im Auftrag des Program for Jewish Civilization, weist darauf hin, dass die Beziehung zwischen Amerika und Israel seit dem Arabischen Frühling zunehmend an Bedeutung gewonnen hat und dass keiner mehr für diese Beziehung getan hat als die Obama-Administration.
Das Wüten von Hurrikan Sandy hat den Wahlkampf kurzfristig zum Erliegen gebracht. Barack Obama ist ins Weiße Haus zurückgeeilt und hat dort staatsmännische Führungsqualitäten unter Beweis gestellt. Die Republikaner jammern, während die Demokraten hoffen, dass dieser Sturm dem Präsidenten den nötigen Rückenwind für eine Wiederwahl ins Weiße Haus beschert.
Von unserer Korrespondentin Emily Vogl