Eric Silvermans lang angekündigtes Buch, A Cultural History of Jewish Dress, ist vor wenigen Wochen in Bloomsburys angesehener kulturhistorischen Reihe erschienen. Es behandelt ein Thema, das der Überarbeitung bedurfte: Jüdische Kleidung war zuletzt 1967 – vor fast fünfzig Jahren – in Alfred Rubens’ A History of Jewish Costume untersucht worden.
Der Rahmen des Buchs ist sehr breit angelegt: Silverman stellt Betrachtungen an über dreitausend Jahre und die verschiedensten Regionen und Kulturen, vom Mittleren Osten, über Russland, Nordafrika und Europa bis hin zu den USA.
Mit Hilfe der Tora, der Mischna und des Talmuds sowie einer Auswahl englischsprachiger Sekundärliteratur und Zeitungsartikel als Quellenmaterial gliedert der Anthropologe aus den USA sein Buch analytisch statt empirisch. Anstatt Kleidungsstücke zu kategorisieren, analysiert er die Debatten, die seit Jahrtausenden über die Frage geführt werden, was Juden tragen oder nicht tragen sollen.
Das Ergebnis ist ein reicher Anekdotenschatz, der veranschaulicht, wie sich Modekonzepte im Judentum seit biblischer Zeit gewandelt haben. So zeigt Silverman mit Rückgriff auf Ben-Meir und Oz, dass das Bild der Sandalen »als der am häufigsten aus dem biblischen Kleiderschrank hervorgekramten Stücke« tatsächlich »eine erfundene Tradition ist, die auf die Generation russischer Emigranten zurückgeht, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Palästina einwanderte«. Er erklärt, wie sich der Davidstern im 19. Jahrhundert als Ergebnis einer konzentrierten Suche nach einem weltlichen Symbol für Juden durchsetzte. Silverman zeigt Ähnlichkeiten zwischen Kleidungsritualen verschiedener Kulturen auf. So sieht er im Aschenputtel-Märchen eine Umkehrung des Brauchs der Chalitza-Schuh-Zeremonie (mit der die Schwagerehe verhindert werden konnte) und in der Symbolträchtigkeit gebundener Knoten eine frühe Form der Vertragsbindung, die Juden ebenso bekannt war wie den Völkern von Papua Neuguinea.
Silvermans Blick auf die Geschichte der jüdischen Kleidung ist, von diesen Beispielen abgesehen, erkennbar amerikanisch gefärbt. Die wissenschaftliche Literatur, auf die der Autor zurückgreift, ist fast ausschließlich englischsprachig, was sich auf die Erörterung der europäischen Kleiderdebatten nachteilig auswirkt: Sie ist undetailliert und mit historischen Fehlern behaftet. Auch stilistisch wirkt Silvermans »Coolness« gelegentlich fehl am Platz: »Fringe Benefits« (auf Deutsch: »Lohnzuschläge«) als Kapitelüberschrift über Zitzit (Schaufäden) ist nur eins von mehreren unglücklichen Wortspielen. Ein salopper Kommentar über den Nazi-Erlass von 1941, der Juden zum Tragen des gelben Sterns verpflichtete, wirkt dabei besonders taktlos: »This time, truly, Jews were dressed to kill.«
Drei Fallstudien über aktuelle Kleidungstrends in den USA sind dagegen geglückte Beiträge sowohl zur jüdischen Geschichte wie auch zur Kostümkunde. Silverman gewährt Einblick in den Kleiderschrank der orthodoxen und ultra-orthodoxen Juden und entdeckt dabei das Zeichensystem einer genau abgestuften Hierarchie, das mit Hilfe von Hüten, Hosenlängen und Kleiderstoffen zum Ausdruck gebracht wird. Kurz und bündig schildert er die Verbreitung und das Design der Kippa innerhalb der letzten fünfzig Jahre. Und er überzeugt in seiner Analyse jüdischer Botschaften auf hippen T-Shirts, deren Träger, wie er darlegt, das Stereotyp vom braven jüdischen Bücherwurm durch selbstbewusste und anzügliche Slogans entkräften wollen: Neben der T-Shirt-Aufschrift »GET LAID« (auf Deutsch: »Lass Dich flach legen«) sind jüdische Gebetsriemen (Tefillin) abgebildet, die – wie Juden wissen – über Arm und Kopf gelegt (»laid«) werden. Auf einem anderen T-Shirt zeigt unter der Aufschrift »I’m Jewish. Wanna Check« (»Ich bin jüdisch – willst Du nachsehen?«) ein Pfeil bedeutungsvoll nach unten. Folgt man Silvermans Analyse, scheint die Kleidung von Orthodoxen und Hipstern in einem direkten – jedoch umgekehrten – Verhältnis zueinander zu stehen: Je mehr Aufmerksamkeit jüdische Freizeitbekleidung mit zunehmend vulgären Botschaften auf sich zieht, desto eiserner wird in orthodoxen Kreisen die Sittsamkeit geachtet.
In A Cultural History of Jewish Dress lesen sich die Kontroversen über Fragen der Mode wie Debatten über den Stand der jüdischen Religion und Kultur. Wendet man Silvermans Theorie auf aktuelle Trends an, dann scheint die Kompatibilität zwischen orthodoxen und modebewussten, säkularen Juden derzeit ganz offensichtlich abzunehmen. (Eric Silverman, A Cultural History of Jewish Dress, London/New York: Bloomsbury Academic 2013.)
Naomi Lubrich, Medien