Die Vorstellung, dass Revolutionen – echte Revolutionen – nicht durch Straßenschlachten, sondern durch viele kleine Veränderungen im Alltag entschieden werden, findet immer mehr Anhänger, vor allem unter Aktivisten der modernen Medien, die aktuelle Trends mit außerordentlicher Versiertheit in Windeseile global verbreiten können. Diese These ist Ausgangspunkt von Adam Thirlwells jüngstem Roman, Kapow!, der den Arabischen Frühling thematisiert und auf dem Tahrir-Platz 2011 spielt.
Gewalttätige Ausschreitungen spielen daher in dem Roman eine Nebenrolle. Für Thirlwell ist Popkultur die einzig wirkungsvolle Art, fundamentalistisch-islamistische Regierungen zum Platzen zu bringen. Dies erklärt den Titel, »Kapow!«, der auf die Gewaltgeräusche in Comicheften anspielt.
Aufstände dienen dem Buch als Hintergrund und Metapher zugleich. Es erzählt von einer Dreiecksgeschichte, von der Hauptprotagonistin Nigora, die mit dem Medienskeptiker Rustam verheiratet ist, einem Ewig Gestrigen, der altmodische Fitnesssocken, Kassetten und selbst Burkas gutheißt. Nigora ist zunehmend von Ahmad angezogen, einem trendigen Medienguru mit stylischer Brooklyn Brille, der mit seiner Digitalkamera Filme dreht. Ahmad findet, dass das Privatleben – womit Drogen und Essen, Bücher und Filme, Mode und Sex gemeint sind – »größer ist als die Revolution«. In der Tat: Seine Interessen haben seinen Horizont über die Grenzen von Ägypten hinaus erweitert und ihn mit dem Stil und Gedankengut von Jugendkulturen rund um die Welt vernetzt und vertraut gemacht.
Vernetzt ist er vor allem mit Thirlwells Erzähler, einem kiffenden, jüdischen, jungen Mann, der sich per Taxi auf dem Weg zu einer hippen Lesbenbar befinden. Dass Thirlwells Erzähler jüdischen Glaubens ist, sollte ursprünglich, wie er in einem Videointerview erklärt, die Distanz zwischen den Protagonisten – in geografischer wie kultureller und religiöser Hinsicht – hervorheben. Doch sind diese Kriterien, wie Thirlwell anzudeuten scheint, letztlich nicht mehr relevant. Viel wichtiger sind die Bezugspunkte in den Bereichen Kommunikation und Unterhaltung, Stil und Essen, die beiden Protagonisten über ihre geografischen wie religiösen Grenzen hinweg gemein haben.
Alltagskultur als versöhnliche Kraft prägt nicht nur die Handlung des Romans, sondern auch die Gestaltung des Textes selbst. So werden Dialoge aus Filmen und Beschreibungen von Konsumgütern im Gewand des Textdesigns präsentiert. Gelegentlich werden einzelne Passagen – ob absatz- oder nur satzweise – in unterschiedlichen Formaten in den Text eingefügt. Kapow! entwickelt eine Ästhetik der Abschweifung, sowohl im Literarischen als auch im Visuellen. In den Worten des trunkenen Erzählers: »Ich habe eine Geschichte erfunden, die aus so vielen Abschweifungen und Umgehungen besteht, dass man sie in alle Richtungen ausloten müßte, wollte man ihr gerecht werden«. Die Abschweifungen geben dem Roman einen modischen Anstrich (selbst wenn sie gelegentlich für ein holpriges Leseerlebnis sorgen in diesem ohnehin anspruchsvollen literarischen Experiment). Sein entscheidender Punkt ist der: Unser Stil – insbesondere unser Lebensstil – ist ausschlaggebend und spielt eine nicht zu verachtende Rolle in der internationalen, interreligiösen und interkulturellen Völkerverständigung.
Naomi Lubrich, Medien