Manch ein Sammlungsstück, das wir im Jüdischen Museum aufbewahren, erschließt sich erst auf den zweiten Blick – wie diese Fotografie einer Männerrunde, aufgenommen in Lissa in Posen im Jahr 1913.
Sie müssen schon sehr genau hinschauen, um zu erkennen, was dort auf dem Tisch liegt: Neben den Spuren trinkfreudiger Geselligkeit ist vorn links eine Ausgabe der Zeitschrift Ost und West zu sehen; weiter rechts steht eine Spendenbüchse des Jüdischen Nationalfonds mit dem Davidstern. Diese Gegenstände machen es möglich, die knapp 9 mal 14 cm kleine Fotografie mit der zionistischen Bewegung in Verbindung zu bringen.
Der Jüdische Nationalfonds, auf Hebräisch »Keren Kajemeth Lejisrael«, war 1901 gegründet worden, um Land in Palästina zu kaufen. Seine Einnahmen setzten sich aus Spenden zusammen; sie wurden unter anderem in einfachen, blau-weißen Blechbüchsen gesammelt, die mit einem Davidstern gekennzeichnet waren. In zionistischen Haushalten, in Vereinen und auf Veranstaltungen waren die »blauen Büchsen« zu finden.
Die Zeitschrift Ost und West widmete sich der jüdischen Kunst, Literatur und Wissenschaft. Die Macher der Zeitschrift wollten der jüdischen Kultur neue Impulse geben, indem sie das ost- und westeuropäische Judentum einander näher brachten. Das Titelblatt hatte Ephraim Moses Lilien entworfen. Eine schön gewandete Frau, mit Davidsternen geschmückt und von den Dornen des Exils umgeben, hält zwischen jungen Zweigen eine Rose von Jericho in der Hand. Stellt man die trockene Wüstenpflanze ins Wasser, entfaltet sie sich immer wieder neu.
Der Zionismus faszinierte vor allem die junge Generation. Dazu passt, dass die Männerrunde, die sich 1913 wahrscheinlich in einem Wohnzimmer zusammenfand, noch recht ›grün hinter den Ohren‹ war. Wo genau und bei welcher Gelegenheit die Aufnahme entstand, wissen wir leider nicht.
Sollten wir das kleine Foto einmal ausstellen, so würden wir es möglicherweise mit den Gegenständen auf dem Tisch kombinieren: einer Ausgabe der Zeitschrift Ost und West und einer Spendenbüchse des Jüdischen Nationalfonds. Es bedarf jedenfalls einiger Anstrengung, um das Interesse von Museumsbesuchern auf ein solch kleinformatiges Ausstellungsstück und seine Details zu lenken. Oder hätten Sie sich schon auf den ersten Blick in unsere Fotografie ›verguckt‹?
Maren Krüger, Ausstellungen
Sehr geehrte Verantwortliche/r
Ein Detail dieses Beitrags irritiert mich etwas: Die abgebildete Titelzeichnung zu „Ost und West“ wurde von Wikimedia herutergeladen wo sie – da E.M. Lilien nun schon mehr als 70 Jahre tot ist – als gemeinfreies Werk publiziert wurde. Sie darf demgemäss frei verwendet werden, ein Copyright zu behaupten, das geht nicht!
Freundliche Grüsse, Philipp Messner