Die Ausstellung »Die ganze Wahrheit … was Sie schon immer über Juden wissen wollten« wird nächste Woche eröffnet. Das Kuratorinnenteam tritt ein paar Schritte zurück, um die schönen Schaukästen zu bewundern, und wir beglückwünschen uns reihum zu dem gelungenen Ergebnis unserer Arbeit.
Schön wär’s. Folgen Sie mir durch meinen heutigen Vormittag:
8:45 Ankunft im Büro. Stopfe meine Schubladen mit den gesunden Snacks voll, die ich gekauft habe: Bananen, Äpfel und Bio-Knusperwaffeln.
8:50 Gehe hinüber zu den Ausstellungsräumen, um mir die Schaukästen anzusehen, die heute Vormittag in ihre endgültige Position gebracht werden müssen.
9:00 Ausstellungsräume gespenstisch leer. Projektmanager erklärt fröhlich, die Autobahn von Dresden nach Berlin sei zugeschneit. Zwar sind einige Vitrinen durchgekommen, nicht jedoch ihre Beine. Er sage Bescheid, wenn Beine da.
9:10 Zurück im Büro. Höchste Zeit, die Ausstellungstexte für die Herstellung freizugeben. Komme gut voran. Eine Kollegin streckt den Kopf herein, erblickt die Muster in meiner Hand. Richtet ihr Smartphone auf die Textteile, die auf farbigem Hintergrund gedruckt sind. »Genau wie ich befürchtet habe«, sagte sie, »die englischen Texte sind für Besucher mit einer Rot-Grün-Sehschwäche unsichtbar.« »Woher weißt Du das?« »Ich muss unsere Website auf Barrierefreiheit prüfen und habe hier eine App, die mir zeigt, wie die Welt für Menschen mit Rot-Grün-Sehschwäche aussieht. Wusstest du, dass 10% aller Männer das haben?«
10:15 Schließe die Bürotür. 2 Bananen.
10:30 Empfange den Scan eines Bildes, das für die Ausstellung auf einen Meter Durchmesser vergrößert werden soll. Es zeigt zwei Stempel, mit denen ein Rabbiner in Süddeutschland beglaubigt, dass Produkte koscher sind. Freundlicherweise hat er sich bereit erklärt, uns ein Bild zur Verfügung zu stellen. Huch – ein Tippfehler auf dem ersten Stempel: Sein Name ist auf Hebräisch falsch geschrieben. Nicht schlimm, es gibt ja den zweiten Stempel. Das darf nicht wahr sein! Da sollte »Jüdische Gemeinde« stehen, aber da steht »Indische Gemeinde« …
10:40 Sicherheit in der Gruppe. Nehme es mit dem Schnee auf und gehe die Straße hinunter zum Teambüro. Wir können gemeinsam unsere Texte durchsehen. Fühle mich gleich besser. Cashewnüsse und getrocknete Cranberrys für alle. »Buddha auf Englisch mit großem B, oder?«, ruft meine Kollegin zu mir herüber. Meine Gegenfrage: »Wird ›Miznefet‹ auf Deutsch ohne T vor dem Z aus dem Hebräischen transkribiert, so wie Bar Mizwa?« Zur Antwort ein aufmunterndes »Ja!«. Wir sind ein bewährtes Gespann, hauen hier seit zwölf Jahren Texte raus.
12:15 Die Bernard-Madoff-»Smash-Me«-Puppe ist angekommen, eine mit Dreizack bewaffnete Statuette des verbrecherischen Finanzberaters. Offenbar reagiert er auf Schläge doch empfindlich, beim Versand ist ihm der Kopf abgebrochen. Die Brille fehlt, Haar und Augenbrauen sind ungewohnt rot. Ich rufe unsere Gemälderestauratorin an: »Ich weiß, du hast viel zu tun, aber falls du einen Moment Zeit hast, könntest du Bernie ein bisschen überarbeiten? Er braucht silbernes Haar.«
13:00 Kurze Mittagspause. Wir sind spät in der Kantine, kein Obstsalat mehr da. Bin gezwungen, ein großes Stück Rhabarberkuchen zu essen. Ausstellungsteam bespricht sich überm Mittagstisch: Das Kleid ist immer noch in Australien. Die Keramik hängt beim Zoll fest, weil die Rechnung in der Kiste ist und nicht außen angeklebt. Kleine Krisendebatte: Wird es irgendwem außer uns auffallen, wenn die Namensnennung auf den Objektschildern nicht ganz einheitlich gehalten ist?
Fortsetzung folgt …
Michal Friedlander, Kuratorin für Judaica und angewandte Kunst
Hach, wie ist das spannend :)
Wenn aber die Rechnung im Paket ist, ist das doch nicht weiter schlimm. Das wird doch sowieso vom Zoll geöffnet. Ich verstehe nicht, worin das Problem liegt? Oder die Rechnung einfach mal zum Zoll schicken. Das klappt schon!