Inés Garlands Jugendroman über Freundschaft und Liebe
In der Woche vom 21. bis 27. Oktober 2013 finden in der Akademie des Jüdischen Museums Berlin Lesungen, Workshops und ein Publikumstag unter dem Titel »VielSeitig. Eine Buchwoche zu Diversität in Kinder- und Jugendliteratur« in Kooperation mit Kulturkind e.V. statt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedener Abteilungen haben dafür zahlreiche Bücher gelesen, diskutiert und ausgewählt. Einige dieser Bücher sollen in den nächsten Monaten hier vorgestellt werden.
Warum berühren Jugendromane anders als Bücher für Erwachsene? Und zwar nicht nur Jugendliche?
Haben Autorinnen und Autoren von Geschichten für Jugendliche weniger Scheu, aus dem Vollen zu schöpfen, wenn es darum geht, Gefühle beim Lesepublikum hervorzurufen?
Seit meiner eigenen Jugend habe ich – Harry Potter ausgenommen – kein einziges Jugendbuch mehr gelesen, bis ich jetzt im Zuge unseres Lesemarathons wieder Geschmack daran gefunden habe. Geschmack daran, mich auf tragische, schöne und komische Schicksale ganz unmittelbar einzulassen, in einer Geschichte zu versinken.
Zum Beispiel in der von Alma aus Wie ein unsichtbares Band von Inés Garland: Alma ist ein gut situiertes Mädchen aus Buenos Aires, das seine Wochenenden im Häuschen der Familie auf einer Insel in der Nähe der argentinischen Hauptstadt verbringt. Dort freundet sie sich mit Carmen an.
»Da war Carmen, direkt vor dem großen Graben. Ich sah sie schon von weitem, sie saß auf einem Ast, die Beine im Wasser, als hätte sie schon immer dort gesessen. Zu ihren Füßen lag noch ein Mädchen, das genauso aussah wie sie, nur aus Wasser, und beide grinsten wie die Katze in Alice im Wunderland. Als ich näher kam, zerfloss das Mädchen aus Wasser, und das andere, das auf dem Ast saß, sprang herunter. (…) ›Sollen wir zu meiner Oma gehen, damit sie uns was zum Frühstück macht?‹, fragte sie, als wären wir schon lange befreundet, stolzierte durchs Wasser davon wie eine Prinzessin und ließ dabei die dünnen Arme kreisen wie Propeller. Ihr Vertrauen knüpfte ein unsichtbares Band zwischen uns, und ich folgte ihr, ohne Fragen zu stellen.«
Dass Carmen und ihr Bruder Marito aus ärmlichen Verhältnissen stammen, ist Alma nicht bewusst, da sie – wie die meisten sozial besser gestellten Kinder – sich noch nie Gedanken darüber machen musste. Es wird immer mehr zum Thema, da die Erwachsenen die Freundschaft der drei Jugendlichen misstrauisch beobachten. Zunächst akzeptieren sie den Kontakt zwar trotzdem, doch als Alma und Marito sich verlieben, stößt das junge Paar auf Widerstand.
Was als behutsam erzählte Geschichte von Freundschaft, Loyalität und Liebe trotz starrer sozialer Grenzen beginnt, bekommt bald eine weitere, existenziellere Dimension. Als nach dem Militärputsch 1976 Tausende Menschen »verschwinden«, gefoltert und ermordet werden, endet Almas unbeschwerte Jugend jäh.
Mehr möchte ich hier nicht verraten, nur dass Wie ein unsichtbares Band genau so traurig ist, wie der historische Hintergrund erahnen lässt. Inés Garland schöpft wahrlich aus dem Vollen, wenn es darum geht, Gefühle beim Lesepublikum hervorzurufen. Ein aufwühlendes Buch.
Christine Marth, Publikationen
Inés Garland, Wie ein unsichtbares Band, aus dem argentinischen Spanisch von Ilse Layer, Frankurt am Main: Fischer KJB 2013 (ab 14 Jahre).