Seit Ende August gibt es in unserer Dauerausstellung einen Kunstautomaten, in dem man für vier Euro kleine Kunstwerke von jüdischen Künstlern kaufen kann, die in Berlin leben und arbeiten.
Heute stellen wir eine der Künstlerinnen vor: Zara Verity Morris aus London, die zurzeit am Institut »Kunst im Kontext« der Universität der Künste ihren Master macht, hat für den Kunstautomaten einen Comic-Strip auf einer ausziehbaren Papierrolle angefertigt und der Arbeit den Namen »The Mezuzah« gegeben. (Als Mesusa bezeichnet man das kleine Gefäß, das an den Türpfosten eines jüdischen Haushaltes angebracht wird. In ihm befindet sich eine handgeschriebene Pergamentrolle mit dem hebräischen Gebet »Höre Israel«).
Christiane Bauer: Zara, kannst Du mir zum Einstieg kurz erläutern, warum Du genau dieses Objekt für den Kunstautomaten angefertigt hast?
Zara Morris: Ich fand es interessant, mit dem begrenzten Platz im Automaten zu spielen und wollte eine Arbeit machen, die sich entfaltet, wenn man sie aus dem Automaten nimmt. Der formale Zusammenhang zwischen einer Tora und einer Mesusa brachte mich dann auf die Idee einer langen Papierrolle.
Als kleines Kind fand ich in einer Schublade mehrere Mesusot, die in unterschiedlich gutem Zustand waren; bei ein paar hatte sich das Gehäuse geöffnet. Ich war überrascht zu entdecken, dass in einer Mesusa eine Pergamentrolle mit hebräischer Schrift steckt, und dachte, dass sie einer kleinen Spiel-Tora gleicht. Der spannendste Teil des Gottesdienstes war für mich als Kind das Vorbereiten der Tora, bevor aus ihr gelesen wurde. Dazu braucht es immer zwei Personen; eine, um die schwere Tora von unten festzuhalten, die andere, um den Samtbezug und den Schmuck abzunehmen, um die schlichte Papierrolle zu enthüllen. Ich entschied mich, ausgehend von diesen Kindheitserinnerungen einen Comic zu entwickeln.
Wie passt »The Mezuzah« in Deine bisherige Arbeit?
Bis jetzt habe ich mich in meiner Arbeit nicht wirklich mit Judentum auseinandergesetzt, aber ich hatte in der Vergangenheit für ein Kunstwerk die Idee, Hebräisch intensiver zu lernen. Das war vor ca. 10 Jahren, da habe ich ein Audiokunstwerk mit dem Namen »Breakthrough Language« (2002) gemacht. Das Kunstwerk bestand aus ganz vielen verschiedenen Sprachfetzen, die übereinander gelagert waren. Das Sprachgewirr hat mich an den Besuch in der Synagoge erinnert, bei dem ich auch nicht alles verstehe, weil ich Hebräisch nicht so gut spreche. Auch in Deutschland habe ich als Engländerin ein ähnliches Gefühl.
In der Gestaltung der Papier-Mesusa bin ich einer persönlichen Neigung nachgegangen: Ich zeichne viel und male privat auch Bildergeschichten. Für den Kunstautomaten habe ich zum ersten Mal einen Comic als Kunstwerk angefertigt.
Was hat Dich an dem Projekt »Kunstautomat« gereizt?
Die Idee, dass viele Leute durch den Automaten Zugang zu meiner Arbeit finden ist für mich sehr attraktiv. Ich kenne Kunstautomaten bereits aus England. Es macht einfach Spaß, auf diese Art und Weise Kunst zu erstehen. Für mich ist es außerdem sehr schön, eine Arbeit für einen Ort anzufertigen, den ich gerne mag und den ich selbst oft besuche.
Gibt es einen Künstler oder eine Künstlerin, der oder die Dich für Deine Arbeit ganz besonders inspiriert?
In letzter Zeit lese ich viele Comics und Graphic Novels, vor allem von Joann Sfar (Klezmer Book One: Tales of the Wild East; The Rabbis Cat) und Sarah Glidden (How to Understand Israel in 60 Days or Less). Ich mag es, dass Joanns Bilder nicht so perfekt sind. Mit dem Malen ist es wie mit einem Instrument: Wenn man gut sein will, muss man richtig viel üben. Mir gefällt es, dass Joanns Werk so locker wirkt.
Welche Themen sind Dir für Deine Arbeit wichtig?
Das ist eine gute Frage. Ich glaube, mit dem Kunstautomaten habe ich angefangen mich zu fragen: »Was heißt es, ›jüdische Künstlerin‹ zu sein?« und: »Wie hat mein Judentum mich geprägt?«
Ich finde es aber auch interessant, mich mit meiner unmittelbaren Umgebung zu beschäftigen. Viele meiner letzten Arbeiten haben etwas mit Neukölln zu tun, weil ich da wohne. Ich habe für das Festival »48-Stunden Neukölln« in den letzten zwei Jahren zwei große Projekte gemacht. Einmal einen Audioguide und jetzt ein Aufklappbuch über Wohnungen in Neukölln.
Ein Teil von meinem Leben ist »Ich wohne hier jetzt in Neukölln« und ein anderer Teil ist »Ich bin jüdisch«.
Was war ausschlaggebend für Dich, nach Berlin zu kommen?
Man braucht als Künstler eine Umgebung, in der man nicht 40 Stunden in der Woche arbeiten muss, um die Miete zu bezahlen. Ich komme aus London, dort ist es ganz schwierig. Hier in Berlin habe ich vielleicht mehr Möglichkeiten.
Es ist auch toll, dass in Berlin so viel los ist. So viel Kunst und Kultur, und so vielfältig, von klassischen Museen bis zu Performances in einem Off-Space.
Gibt es auch eine jüdische Szene in der Künstlerszene?
Hm, das weiß ich nicht. Ich kenne viele jüdische Künstler, aber von einigen habe ich erst durch dieses Projekt erfahren, dass sie jüdisch sind. Ich wusste das vorher gar nicht. Man könnte sagen, dass es jetzt an unserem Institut eine Szene gibt. (lacht)
Vielen Dank für das Gespräch, Zara! Welche Reaktion wünschst Du Dir, wenn unsere Besucher Dein Kunstwerk aus dem Automaten ziehen?
Funny, intelligent and unpretentious –
thank you Zara !