Der Reiz des Begrenzten

Seit Ende August gibt es in unserer Dauerausstellung einen Kunstautomaten, in dem man für vier Euro kleine Kunstwerke von jüdischen Künstlern kaufen kann, die in Berlin leben und arbeiten.

Papier-Mesusa mit ausziehbarem Comic-Strip von Zara Verity Morris

Papier-Mesusa mit ausziehbarem Comic-Strip von Zara Verity Morris
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

Heute stellen wir eine der Künstlerinnen vor: Zara Verity Morris aus London, die zurzeit am Institut »Kunst im Kontext« der Universität der Künste ihren Master macht, hat für den Kunstautomaten einen Comic-Strip auf einer ausziehbaren Papierrolle angefertigt und der Arbeit den Namen »The Mezuzah« gegeben. (Als Mesusa bezeichnet man das kleine Gefäß, das an den Türpfosten eines jüdischen Haushaltes angebracht wird. In ihm befindet sich eine handgeschriebene Pergamentrolle mit dem hebräischen Gebet »Höre Israel«).

Christiane Bauer: Zara, kannst Du mir zum Einstieg kurz erläutern, warum Du genau dieses Objekt für den Kunstautomaten angefertigt hast?

Zara Morris: Ich fand es interessant, mit dem begrenzten Platz im Automaten zu spielen und wollte eine Arbeit machen, die sich entfaltet, wenn man sie aus dem Automaten nimmt. Der formale Zusammenhang zwischen einer Tora und einer Mesusa brachte mich dann auf die Idee einer langen Papierrolle.
Als kleines Kind fand ich in einer Schublade mehrere Mesusot, die in unterschiedlich gutem Zustand waren; bei ein paar hatte sich das Gehäuse geöffnet. Ich war überrascht zu entdecken, dass in einer Mesusa eine Pergamentrolle mit hebräischer Schrift steckt, und dachte, dass sie einer kleinen Spiel-Tora gleicht. Der spannendste Teil des Gottesdienstes war für mich als Kind das Vorbereiten der Tora, bevor aus ihr gelesen wurde. Dazu braucht es immer zwei Personen; eine, um die schwere Tora von unten festzuhalten, die andere, um den Samtbezug und den Schmuck abzunehmen, um die schlichte Papierrolle zu enthüllen. Ich entschied mich, ausgehend von diesen Kindheitserinnerungen einen Comic zu entwickeln.

Wie passt »The Mezuzah« in Deine bisherige Arbeit?   weiterlesen


Kurz vor der Zeit:

was wir dann doch nicht zeigen

In wenigen Tagen, ja Stunden eröffnet unsere Sonderausstellung »Alles hat seine Zeit«, die Zeremonialobjekte und profane Gegenstände als »Rituale gegen das Vergessen« inszeniert. Die Objekte sind nun beinahe alle im Haus, die Wände gestrichen, die Texte geschrieben, die Vitrinen aufgebaut sowie eingerichtet und die Website zur Ausstellung gelauncht.

Vieles sieht in den letzten Tagen allerdings anders aus, als ursprünglich erdacht und geplant. Bis zuletzt gilt es zu entscheiden, was wie gemacht werden soll, und sich von Vorstellungen zu verabschieden, die sich als untragbar erweisen. Zurzeit drehen wir einen Trailer zur Ausstellung und haben diverse Szenen ›im Kasten‹, die in der unmittelbaren Drehsituation interessant und vielversprechend wirkten. Einige davon werden jedoch dem Schnitt zum Opfer fallen. So auch dieses Statement von Cilly Kugelmann zu dem Ausstellungstitel und der Bedeutung von Zeit:

Dem Thema Zeit, genauer gesagt: der jüdischen Perspektive auf die Zeiten widmet sich auch unser kommendes JMB-Journal.  weiterlesen


Israelische Popkultur in der hessischen Provinz

Ich reagiere schon mit Kopfschütteln, wenn deutsche Freunde aus dem hessischen Darmstadt in die umliegende Provinz ziehen. Umso absurder und wagemutiger erscheint die Entscheidung einer israelischen Familie, ihren Wohnsitz von Tel Aviv nicht etwa wie viele Israelis nach Berlin zu verlegen (vgl. den Blogtext »Von Israelis für Israelis. Zehn Regeln für Berlin« auf Spree-Aviv.de), sondern ins hessische Niederbrechen zu ziehen. Genau dies aber ist die Ausgangssituation von Sarah Diehls Debütroman Eskimo Limon 9. Sie erlaubt es ihr, einen »Culture-Clash der besonderen Art« darzustellen, wie es im Klappentext heißt.

Buchcover des Romans Eskimo Limon 9, auf dem ein Wald vor einem schwarzen Nachthimmel mit Sternen zu sehen ist

Buchcover
© Atrium Verlag

Da sind auf der einen Seite die israelischen Figuren. Die sind alles andere als versessen auf Gespräche über die deutsche Vergangenheit oder die Geschichte der europäischen Jüdinnen und Juden.

»Das Einzige, was mich im Jüdischen Museum an meine Lebenswelt erinnern wird, werden wahrscheinlich die Metalldetektoren sein, durch die man am Eingang gehen muss.«

Dem israelischen Familienvater Chen wäre es lieber, die Deutschen »würden uns mit Eskimo Limon in Verbindung bringen als mit sechs Millionen Toten.« Der Romantitel bezieht sich also auf die gleichnamige Filmserie, die hierzulande in den achtziger Jahren unter dem Titel Eis am Stiel lief, »eines der wenigen Ereignisse der israelischen Popkultur […], die einem deutschen Publikum bekannt wurden«. Allerdings dachten viele, die Filme kämen aus Italien, was zeigt – so die Autorin im Nachwort –, wie selektiv nichtjüdische Deutsche Israel wahrnehmen und wie beschränkt ihre Vorstellung von Jüdischkeit häufig ist.

Auf der anderen Seite stehen die Eingeborenen Niederbrechens.  weiterlesen

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