– eine Jugend in Iran und Wien
In der heute beginnenden Woche vom 21. bis 27. Oktober 2013 finden in der Akademie des Jüdischen Museums Berlin Lesungen, Workshops und ein Publikumstag unter dem Titel »VielSeitig. Eine Buchwoche zu Diversität in Kinder- und Jugendliteratur« in Kooperation mit Kulturkind e.V. statt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedener Abteilungen haben dafür zahlreiche Bücher gelesen, diskutiert und ausgewählt. Einige dieser Bücher wurden in den vergangenen Monaten hier bereits vorgestellt.
In der autobiographischen Graphic Novel Persepolis schildert die Autorin Marjane Satrapi (Jahrgang 1969) die Geschichte ihrer Heimat und die Geschichte ihrer eigenen Familie, welche eng miteinander verwoben sind. Marjane wächst im Iran auf, in einer Zeit der Umbrüche: Als Zehnjährige erlebt sie, wie der Schah gestürzt wird und die Menschen auf den Straßen tanzen. Doch das Gefühl der Befreiung währt nur kurz. Sehr bald versucht die neue religiöse Regierung ihre Vorstellungen von Moral und Anstand mit Zwang durchzusetzen. Alkohol und westliche Musik werden verboten, auch säkulare Frauen müssen ein Kopftuch tragen (vgl. die Leseprobe des Verlags), Regimegegner kommen ins Gefängnis oder werden ermordet. Bei ihren aufgeschlossenen, liberalen Eltern findet Marjane zwar Verständnis und Freiräume, doch sich den Regeln der Außenwelt anzupassen fällt ihr schwer. Sie rebelliert gegen die strengen Kleidungsvorschriften, geht auf Partys und legt sich mit ihren Lehrerinnen an.
Nachdem sich die Situation durch den Iran-Irak-Krieg verschärft, schicken die Eltern Marjane mit 14 Jahren nach Österreich, um sie zu schützen. Hier spielt der zweite Teil des Buches, der von Marjanes Erfahrungen im Exil und ihrer Sehnsucht nach der Familie handelt. Auch wenn sie in Wien die Freiheiten einer westlichen, laizistischen Gesellschaft genießt und Freunde findet, so richtig zugehörig fühlt sie sich nie. Marjane versucht ihre Erinnerungen an den Iran zu vergessen und ihre Herkunft zu verleugnen. Sie kämpft und hadert mit allem: der Religion, der Gesellschaft, den Menschen. Im Exil mit kurzen Haaren, aber auch kopftuchtragend in der Heimat sucht sie unaufhörlich nach sich selbst.
Zum Buch ist 2007 ein gleichnamiger Film erschienen. Einen Vorgeschmack gibt dieser Trailer.
Da das Buch bereits 2004 veröffentlicht wurde, fiel es nicht in die engere Auswahl für unsere Broschüre »VielSeitig. Diversität im Kinder- und Jugendbuch«. Doch Persepolis ist, wie man ohne Übertreibung sagen kann, ein Meisterwerk, das auf künstlerisch hohem Niveau Zugehörigkeit und Ausgrenzung, Heimat und Freiheit facettenreich thematisiert und deshalb unbedingt zu empfehlen ist. In der Kombination aus Comic und Autobiographie bietet es einen ganz besonderen Zugang und auch wenn die Zeichnungen auf den ersten Blick plakativ erscheinen mögen, die Geschichte, die sie erzählen, ist es nicht. Weil diese Graphic Novel die Sicht einer Jugendlichen einnimmt, erscheinen die Eindrücke, Gedanken und Gefühle sehr authentisch und lebendig. Man kann Marjanes Wut über die Ungerechtigkeiten, die sie im Iran erlebt, ihre spätere Scham über ihre Herkunft und ihre Sehnsucht nach der Heimat beinahe spüren und bekommt während des Lesens einen intensiven Eindruck von den alltäglichen Folgen der iranischen Revolution (aber auch von der iranischen Gesellschaft jenseits der Klischees in den westlichen Medien) sowie den Ambivalenzen eines Lebens in der Emigration. So ist Persepolis auch als Coming-of-age-Geschichte zu verstehen, die allgemeingültig das Bedürfnis von Heranwachsenden nach Unabhängigkeit und die Erfahrung von Freundschaft, Ausgrenzung und Einsamkeit schildert.
Christin Zühlke, Bildung, und Henriette Kolb, Medien
Marjane Satrapi, Persepolis. Bd. 1 Eine Kindheit im Iran. Bd. 2 Jugendjahre, Graphic Novel, Zürich: Edition Moderne 2004 (eine Neuauflage in einem Band erscheint dort im November 2013), 356 Seiten, ab 14 Jahren.