Die Finanzkrise von 2007 hat auch die Staaten Osteuropas in Mitleidenschaft gezogen. Der Złoty ist längst nicht mehr die goldene Münze, so der etymologische Ursprung für den Namen der polnischen Währung. Arbeitslosigkeit und stagnierendes Wirtschaftswachstum, steigende Immobilienpreise und sinkende Kaufkraft haben den Wirtschaftsaufschwung in Polen ausgebremst. Auch die Niederlande befinden sich seit Jahren in einer Rezession. Sinkende Wettbewerbsfähigkeit, private Schulden, ein vom Staat subventionierter Hausbesitz, das niedrige Rentenalter und ein teures Gesundheitssystem sorgen für Unsicherheit und den wiederholten Erfolg der Freiheitspartei des xenophoben Populisten Geert Wilders.
Angesichts der Ebbe in den Staatskassen und dem eigenen Portemonnaie haben ein polnisches und ein niederländisches Schlitzohr ein bilaterales Geschäftsmodell entwickelt. Irgendwie waren der findige Dariusz Woźniok und sein windiger niederländischer Auftraggeber als Diebe oder Käufer, wer weiß das schon, an Landser Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg gekommen. Vielleicht waren sie verbittert darüber, dass sie keinen Anteil an den Gewinnen aus den Geschäften mit materiellen Gütern wie etwa dem polnischen Export von Gänsen, Erdbeeren, Kartoffeln und Rote Beete oder dem niederländischen Käse- und Tulpenbusiness hatten. Möglicherweise hatten sie auch einfach nur eine Haschischpfeife zu viel geraucht, als sie in einem Amsterdamer Coffeeshop ihre Geschäftsidee ausbrüteten. Auf jeden Fall dachten sie: »Schnappschüsse aus Ghettos und sogenannten ›Judenaktionen‹ in Polen vom Anfang der 1940er Jahre lassen sich doch bestens als ›Holocaust-Ware‹ an Jüdische Museen verkaufen. Warum nicht mit der Ressource Geschichte Gewinn erzielen!«
Wie Lolek und Bolek machten sie sich ans Werk: Dariusz Woźniok schickte im Auftrag von und autorisiert durch einen nicht namentlich genannten »niederländischen Staatsbürger« ein Angebot in polnischer Sprache ohne Briefkopf und Datum an diverse Jüdische Museen mit aus dem Internet fehlerhaft abgeschriebenen Adressen und vermutlich auch an private Sammler. »Der Brief wird schon ankommen«, wird sich Dariusz gedacht haben, »und wer sich mit dem Holocaust befasst, versteht auch die polnische Sprache.«
Die Angelegenheit besteht aus einem Konvolut von 150 Fotografien und einer Handvoll von Objekten wie schlichte Kidduschbecher, verkohlte Tefillin, schmutzige Käppchen, fadenscheinige Beutel und fleckige Gebetsschals, die meisten von vorgestern, ohne Provenienz und Datierung. Als Beleg liegt eine CD mit Bildmaterial bei, auf der die Fotos mit Vorder- und Rückseite abgebildet sind. Ein auf die Fotos gelegter roter Faden soll verhindern, dass das wertvolle Gut reproduziert wird, bevor dafür abkassiert wurde. Mit der vermuteten Gier der angepeilten Institutionen nach solchem Fotomaterial wird eine schriftliche Auktion dieser »delikaten Angelegenheit« mit dem besonderen Privileg des Ausschlusses eines zertifizierten Auktionshauses vorgeschlagen. Interessenten können ein schriftliches Gebot an eine in dem Brief angegebene Adresse in 4651 HG Steenbergen schicken. Die beiden Herren erwarten einen Erlös von bis zu 450.000 Euro, also 3000 Euro pro Foto. Es versteht sich von selbst, dass angesichts dieser erwarteten Summe Dariusz Woźniok, oder wer immer sich hinter diesem Namen verbergen mag, und sein anonymer Auftraggeber auf Vertraulichkeit und Schweigsamkeit bestehen. Denn nur weil sie paranoid sind, heißt das noch lange nicht, dass niemand hinter ihnen her ist.
Cilly Kugelmann, Programmdirektorin