Zum Geburtstag eines eindringlichen Erzählers
Am 4. Mai können wir dieses Jahr einem großen Schriftsteller zum 75. Geburtstag gratulieren, der im letzten Jahr gleich zweimal im Jüdischen Museum Berlin zu Besuch war: Amos Oz. Der preisgekrönte israelische Autor – er erhielt u. a. den Friedenspreis des deutschen Buchhandels (1992) und zuletzt den Franz-Kafka-Literaturpreis (2013) – stellte im vergangenen Oktober mit seiner Tochter, der Historikerin Fania Oz-Salzberger, das gemeinsame Buch Juden und Worte (dt. 2013) vor. In vier Kapiteln beschreiben die »beiden nicht-religiösen israelischen Juden« (S. 15) auf unterhaltsame Weise die historische Kontinuität der jüdischen Tradition anhand einer »Genealogie von Lesen und Schreiben« (S. 29). Sie sinnieren dabei über die mögliche Dichterin des Hoheliedes und andere »Frauen mit Stimme« (S. 77) und denken über die Bedeutung von Zeit und das Verhältnis von »Kollektivität und Individualität« (S. 179) nach.
Als literarischer Autor war Amos Oz im März 2013 mit seinem jüngsten Erzählband Unter Freunden (2103, hebr. Original Bejn chaverim 2012) bei uns im Museum zu Gast. Die acht Erzählungen darin spielen im fiktiven Kibbuz Jikhat. Dass der Autor das Kibbuzleben kennt, merkt man seinen Geschichten gleich an – er verließ als knapp 15-Jähriger das Haus seines intellektuellen Vaters, um für viele Jahre im Kibbuz zu leben und zu arbeiten. Durch typische Orte wie die Kibbuzwäscherei, Kibbuzküche, Speisesaal, Kuh- und Hühnerstall, Obstplantagen und das Schwimmbad war auch mir, die ich Ende der 1990er Jahre vorübergehend in einem Kibbuz gelebt habe, der Schauplatz sofort vertraut. Die Diskussionen um das Kinderhaus verweisen hingegen auf einen konkreten Zeitraum: die goldenen 1950er Jahre der Kibbuzim.
Die Geschichten beschäftigen sich mit menschlichen Grundkonstanten wie Liebe, Einsamkeit oder dem Hadern mit anstehenden Lebensentscheidungen. Die titelgebende Erzählung »Unter Freunden« etwa erzählt von der »Verwirrung« (S. 57), die der Vater Nachum empfindet, als seine Tochter ein Verhältnis mit ihrem Lehrer beginnt. Der Lehrer ist nämlich »einer der Gründer und Leitfiguren des Kibbuz« (S. 48) und hat bei Nachum selbst »einen festen Platz in seinem Herzen« (S. 57). Deshalb kommt nicht der erwartete Zorn auf, sondern Nachum denkt: »Liebe ist eine Art Entzündung: Sie erfasst dich und gibt dich wieder frei« (S. 66).
Der sympathische Kibbuzsekretär Joav Karni, um den eine andere Geschichte kreist (»In der Nacht«), macht auf die Schwierigkeiten von Freundschaft im Kibbuz aufmerksam: »Alle sind Chaverim, aber nur wenige sind miteinander befreundet« – die Fußnote der Übersetzerin erklärt: »Chaverim [hebr.]: Freunde; auch Genossen; Mitglieder« (S. 173). Joav ist der Meinung, »dass es für einen alternden, einsamen Junggesellen hier bei uns schwerer war als an anderen Orten, weil es im Kibbuz kein geeignetes Mittel gegen Einsamkeit gab. Und schlimmer als das: Von der Grundidee her verneinte unsere Gesellschaftsform die Einsamkeit« (S. 127).
Vor dem Hintergrund dieser Idee porträtiert der Erzähler das Leben einzelner Mitglieder des Kibbuz. Die Figuren, die im Zentrum einzelner Geschichten stehen und in anderen als Nebenfigur auftreten, werden einem dabei immer vertrauter. Ihre Leben verdeutlichen, dass Gleichheit qua Ideologie die Ungleichheit der Menschen nicht aufhebt.
Wie Vater und Tochter in Juden und Worte »das jüdische Modell der zwischen den Generationen geführten Debatte näher in Augenschein« (S. 19) nehmen, geht auch der Erzählband immer wieder auf das Generationenverhältnis ein. Er deutet die Veränderungen an, die sich im Kibbuz mit dem Wechsel von der Gründergeneration zu ihren Nachkommen vollzieht, deren Leben nicht mehr von sozialistischen Grundsätzen, sondern vom Wunsch nach individuellen Freiheiten geprägt wird. Neben Figuren, die diese Entwicklung als Verfallsgeschichte wahrnehmen, gibt es auch solche, die Hoffnung setzen in die Nachgeborenen als »Menschen, die Geduld und Zweifel und Erbarmen haben« (S. 174). Auch die Hoffnung in Sprache, »klare, eindeutige und wohlklingende Wörter könnten diese Beziehung [zwischen den Menschen] heilen« (S. 209) wird im Text geäußert – allerdings nur anhand des wenig verbreiteten Esperanto. Ozʼ Erzählungen selbst hat uns Mirjam Pressler aus dem Hebräischen jedoch in schnörkelloses, klares Deutsch voller wohlklingender Wörter übersetzt – gleich dem Flötenspiel von Ozʼ Ehefrau bei seiner Lesung hier im Jüdischen Museum Berlin.
Mirjam Bitter, Medien
Amos Oz, Unter Freunden, aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler, Berlin: Suhrkamp 2013, 215 S. (Taschenbuchausgabe 2014)
Amos Oz und Fania Oz-Salzberger, Juden und Worte, aus dem Englischen von Eva-Maria Thimme, Berlin: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 2013, 286 S.