Ein Gespräch mit Emile Schrijver
Wie wird man Kurator einer Handschriftensammlung?
Emile Schrijver: Während des Studiums – ich habe Hebräisch in Amsterdam studiert – hat uns ein Lektor in die Sammlung mittelalterlicher Manuskripte der Universität in Leiden mitgenommen. Dort, in den beeindruckenden Tresoren konnte ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich alte Handschriften sehen: z.B. die einzige Handschrift des Talmud Jeruschalmi und eine der frühesten Raschi Handschriften. Diese alten Quellen zu sehen und als direkte Konfrontation mit der Geschichte zu erleben – damals schon haben mich diese historischen Bücher gefangen genommen. Ich habe dann viel in der Rosenthaliana studiert und später sogar angefangen dort zu arbeiten. Herr Braginsky suchte vor einigen Jahren einen Kurator für seine erste Ausstellung in Europa. Gemeinsame Bekannte aus der internationalen Welt der Handschriften vermittelten den Kontakt, und es hat sich herausgestellt, dass wir uns mögen und bald eine Vertrauensbasis aufbauen konnten.
Was genau machst Du als Kurator der Braginsky-Collection?
Ich bin für die Sammlung zuständig, sobald Herr Braginsky etwas gekauft hat, also für die Neuzugänge und den Bestand. Die meisten Neuerwerbungen erhalten wir mit einer Kurzbeschreibung, manche werden erst von uns beschrieben, dabei auch inventarisiert und fotografiert. Ich schaue mir den Zustand der Bücher genau an und wenn notwendig, veranlasse ich, dass sie restauriert werden. Auch das Klima im Depot wird von mir überwacht. Ausstellungs- und Reproduktionsanfragen machen uns viel Arbeit. Das Digitalisieren der Bestände ist ein fortlaufender Prozess. Ab und zu möchten sich Gelehrte bestimmte Werke genauer ansehen. Oder es findet eine Präsentation in unseren Räumen statt, z.B. für die European Association of Jewish Museums. Auch Öffentlichkeitsarbeit wie z.B. auf der Jewish Book Week in London 2013 beansprucht viel Vorbereitung.
Was ist in Deinen Augen das Besondere an der Braginsky Collection?
Eigentlich, dass sie fast organisch gewachsen ist. Herr Braginsky hat einfach aus einem klassischen Sammelbedürfnis heraus angefangen, schöne Bücher zu kaufen. Er hat sich dabei immer mit guten Beratern umgeben, was man an der Sammlung erkennen kann. Die Händler haben bald gewusst, dass Herr Braginsky an guter Qualität interessiert ist. Und so sind über die Jahre bestimmte Schwerpunkte entstanden, wie z.B. die Herlingen Sammlung, die Herr Braginsky jetzt besitzt und die sogar zu einem eigenen Kapitel in der aktuellen Ausstellung »Die Erschaffung der Welt« wurde. Das ist eine Stärke seiner Sammlung. Aber auch ihre inhaltliche Breite. Mit seiner Sammeltätigkeit, die Handschriften aus Indien, Osteuropa und Irak einschließt, unternimmt Herr Braginsky eine Reise durch die jüdischen Welten.
Warum heißen manche Handschriften so merkwürdig: »Zweite Braginsky-Herlingen-Haggada«?
Diese Frage habe ich mir im Studium auch oft gestellt, aber wenn man selber für eine Sammlung arbeitet, gerät man plötzlich in diese Lage, Bücher zu benennen, um sie auseinander halten zu können. Herr Braginsky hatte eine Haggada von Herlingen, die wir Braginsky-Herlingen-Haggada nannten und in unseren Ausstellungen zeigten. Nachher hat er noch eine zweite Herlingen-Haggada gekauft. Da blieb uns nichts anderes übrig als sie die Zweite Braginsky-Herlingen-Haggada zu nennen.
Zur Unterscheidung werden die Bücher nach ihren Eigentümer benannt, das ist praktisch und wenn die Handschriften erstmals so bekannt wurden, bleibt es manchmal trotz Eigentümerwechsel dabei, wie dies etwa bei der Harrison Miscellany der Fall ist, die jetzt als Teil der Braginsky Collection ausgestellt wird.
Erzählst Du uns von einem interessanten Objekt?
An dieser kleinen lateinischen Herlingen Mikrographie, die den Harfe spielenden König David darstellt, kann man sehen, wie Künstler von Markt und Sammlern erst zu Künstlern gemacht werden. Sie wurde vor ca. 7 Jahren für wenig Geld von einem Unbekannten gekauft, weil der Rahmen so schön war und konnte kurz darauf für wesentlich mehr Geld versteigert werden, weil jemand dem Käufer empfohlen hatte, diese Handschrift von Sotheby’s ansehen zu lassen.
Wir sprechen jetzt deutsch, Du bist in den Niederlanden aufgewachsen, Hebräisch hast Du gelernt… welche Sprachen kannst Du noch und welche wendest Du bei Deiner Arbeit an?
Ich spreche Englisch und Deutsch am Besten. Hebräisch und Aramäisch habe ich im Studium gelernt, auch Syrisch, Phönizisch, Ugaritisch, Akkadisch, ich kann ein wenig Latein, Fachliteratur kann ich auch auf Französisch, Italienisch und Spanisch lesen. Die alten semitischen Sprachen verwende ich eher nicht mehr, die modernen Sprachen benutze ich im fliegenden Wechsel. Hebräisch, Jiddisch, ein bisschen Aramäisch und manchmal auch Latein das brauche ich schon noch.
Miriam Goldmann, Projektleiterin der Ausstellung
»Die Erschaffung der Welt«