»Unsere Hoffnungsfreudigkeit und die Erwartung eines endgültigen Sieges hat keineswegs nachgelassen, obgleich das lange Warten uns manchmal zu beunruhigen beginnt.«
Diese Zeilen schrieb der Kultur- und Literaturhistoriker Ludwig Geiger, Sohn des berühmten Reformrabbiners Abraham Geiger, am 5. Dezember 1914 an einen Freund. Das »lange Warten« , das ihn vier Monate nach Beginn des Krieges zu beunruhigen begann, zog sich noch knapp vier Jahre hin und brachte keineswegs den erhofften Sieg. Dass die Soldaten nicht ahnten, welches Ausmaß an Zerstörung dieser erste moderne Krieg entfalten würde, verdeutlicht unter anderem die Ausstattung, mit der sie in den Krieg zogen.
Sowohl in der Ausstellung »Der Erste Weltkrieg in der jüdischen Erinnerung« im Jüdischen Museum Berlin als auch in der Sonderausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« im Deutschen Historischen Museum werden Pickelhauben aus gepresstem Leder präsentiert – wohlgemerkt mit Tarnüberzug, denn im Stellungskrieg erwies sich der aus dem Schützengraben hervorragende, im Sonnenlicht reflektierende Pickel als äußerst hinderlich.
Bei meinen Führungen durch die beiden Ausstellungen nehme ich die Pickelhaube gerne zum Anlass, um darüber zu sprechen, wie sehr sich dieser Krieg von den bisherigen unterschied, und wie wenig das Militär anfangs auf die neu eingesetzten Waffen vorbereitet war. Die beiden Ausstellungen haben verschiedene Ausgangspunkte: Die Kabinettausstellung im Jüdischen Museum ist ausschließlich aus eigenen Sammlungsbeständen bestückt und zeigt damit eindrucksvoll, welche Gegenstände und Dokumente für jüdische Familien auch nach dem Ende des Krieges einen hohen Erinnerungswert besaßen. Die Ausstellung im DHM möchte dagegen einen Überblick über die Ereignisse geben und präsentiert exemplarisch ausgewählte Schlachtorte sowie die Heimatfront. Zwei völlig unterschiedliche Konzepte – und doch überraschend viele Parallelen.
Zum Ersten Weltkrieg ist in diesem Erinnerungsjahr viel zu lesen, zu hören und zu sehen. Viele Besucherinnen und Besucher, darunter auch ältere Schüler (weniger die Schülerinnen), kennen sich deshalb hervorragend mit der Geschichte des Ersten Weltkriegs aus. Deshalb muss ich mich immer wieder fragen, womit ich ihr Interesse wecken und sie fesseln kann? In der Business-Sprache dreht sich alles um den USP, den unique selling point. Das Alleinstellungsmerkmal von Museen liegt darin, dass sie Objekte zeigen, in denen Geschichte konkret wird. In meinen Führungen lege ich den Besucherinnen und Besuchern deshalb nahe, genau hinzusehen, und freue mich, wenn sie dabei Überraschendes und Unerwartetes entdecken. Denn genau darin liegt die Stärke der Objekte, die in beiden Ausstellungen zu sehen sind! Im Jüdischen Museum werden beispielsweise zwei Thorazeiger und Feldgebetsbücher präsentiert, 1934 gestiftete Ehrenkreuze für Frontkämpfer, die jüdische Kriegsteilnehmer teilweise sogar in deutschen Konsulaten in der Emigration in Empfang nahmen.
Das Deutsche Historische Museum präsentiert eine Armbinde für den Feldrabbiner Aron Tänzer oder die Auszeichnungen des jüdischen Fliegerpiloten Paul Stadthagen. Bei meinen Führungen beziehe ich mich hier auch gerne auf bekannte Exponaten wie etwa das Gemälde »Germania« von Friedrich August von Kaulbach:
Entschlossen und grimmig, kampfbereit, aber in Defensivhaltung – so malt Kaulbach die Frauengestalt, die Deutschland im August 1914 verkörpern soll. Wie würden wir heute »Germania« malen? Wie hat sich Deutschland in den 100 Jahren verändert? Ein Gedankenspiel, das zu lustigen, interessanten und nachdenklich stimmenden Ergebnissen führt…
Ludwig Geiger starb kurz nach Ende des ersten Weltkriegs Anfang 1919 im Alter von 70 Jahren. Mit der Revolution, in der »Germania« ihre Krone verlor, konnte er sich nicht anfreunden.
Friedrun Portele-Anyangbe, Guide