Bau und Fall der Berliner Mauer beschäftigen die Künstler-Familie Moses in zwei Generationen: 1963/64 entstand die Druckgrafik »Der Balkon« von Heinz Manfred Moses, die sein Enkel David Moses 50 Jahre später zur Grundlage eines eigenen Holzschnitts und einer Farbradierung machte. Die Arbeiten tragen ebenfalls den Titel »Der Balkon« und gehören zu jenen Unikaten, die sieben in Berlin lebende jüdische Künstler für den Kunstautomaten in unserer Dauerausstellung entwickelt haben. Die insgesamt 1.400 Werke, die seit Sommer diesen Jahres hier zu erwerben waren, sind inzwischen ausverkauft.
Die Grafik des Großvaters war nach einem Berlin-Besuch unter dem Eindruck der soeben erbauten Mauer entstanden. Sie zeigt eine Familie in resignierter Haltung auf einem Balkon.
Der Künstler und Dozent Heinz Manfred Moses wurde 1917 im ostpreußischen Marienwerder geboren und emigrierte 1937 nach Palästina. Sein Kibbutz ermöglichte ihm 1963/64 einen Studienaufenthalt an der Amsterdamer Kunstakademie, den er auch für einen Besuch in der geteilten Stadt nutzte.
Sein 31jähriger Enkel David Moses lebt heute als Künstler in Berlin. Er verwaltet den künstlerischen Nachlass von Heinz Manfred, den er nur durch dessen Werk kennengelernt hat. Die Frage, warum er seiner eigenen Arbeit für den Kunstautomaten das Berlin-Motiv seines Großvaters zugrunde legte, beantwortete David mir im Gespräch: »Ich glaube, dass meinen Großvater die deutsche Teilung sehr bewegte und er sie auf eine ungewöhnliche Weise ausdrückte. Ohne den Kontext zu kennen, erfährt man nicht, dass es sich bei der Grafik, um eine Familie handelt, die auf einem Ost-Berliner Balkon steht. Trotzdem hinterlässt die Grafik eine beunruhigende und beklemmende Stimmung.«
Wie sein Großvater, so arbeitet auch David vor allem in der Malerei und Druckgrafik. In seiner Kunst ergründet er nach eigener Aussage »vergangene Spuren und Fragmente im Raum«. Bei der Betrachtung seiner abstrakten Bilder wird das erstaunlich deutlich: Ein Spiel aus Farben, Strukturen und Ebenen verleiht seinen Werken neue Tiefe und Zeitlosigkeit. Dennoch wirken sie greifbar und lebendig. Im Vergleich dazu sind die Arbeiten von Heinz Manfred Moses bedeutend realistischer. »Es sind unwahrscheinlich gute Grafiken. Er arbeitete ganz anders als ich. Mit wenigen Linien gibt er die Figuren und Menschen lebensnah und ausdrucksstark wieder.«
Für den Kunstautomaten wählte David eine eigene Interpretation der Familie im geteilten Berlin: Im Unterschied zum Werk seines Großvaters verschwinden die Figuren in seiner Arbeit fast bis zur Unkenntlichkeit. Gerade die vielen filigranen Linien und Details in der Grafik von Heinz Manfred bildeten für David eine Herausforderung bei der Entwicklung des Holzschnitts:
Er erstellte mehrere Vorlagen und war erst mit der vierten Version zufrieden. Bei der Radierung fertigte er zehn Platten an und kombinierte in den Probedrucken verschiedene Farben und Reihenfolgen. Für das Auftragswerk im Jüdischen Museum Berlin wählte er schließlich zwei Platten aus: eine mit Umrisslinien und im Kontrast dazu eine organische.
David war am 9. November 1989 sechs Jahre alt. Trotzdem hat der Fall der Berliner Mauer einen starken Eindruck bei ihm hinterlassen: »Seit acht Jahren wohne ich jetzt in Berlin und der 9. November ist für mich jedes Jahr aufs Neue etwas Besonderes.«
Stephanie Alberding, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit