»Reklamemarken?« Kurze Pause, leicht ratloses Gesicht. »Und… was sind Reklamemarken?« So oder ähnlich reagierten sämtliche meiner Freunde und Bekannten, wenn ich ihnen in den letzten Monaten erzählte, ›an was ich denn gerade im Museum so arbeite‹: an einer Ausstellung zu Reklamemarken nämlich.
Reklamemarken, antwortete ich dann, sind kleine Werbebildchen, etwas größer als Briefmarken, mit denen vor ziemlich genau hundert Jahren Werbung für Produkte und Geschäfte gemacht wurde. Einige dieser Marken wurden sogar von bekannten Künstlern wie Lucian Bernhard gestaltet und außerdem auch gesammelt – vor allem von Kindern.
Sehr viel mehr wusste ich selbst auch nicht über Reklamemarken, bevor ich für unsere Kabinettausstellung »Sammelwut und Bilderflut – Werbegeschichte im Kleinformat« zu recherchieren begann, die vom 4. Dezember 2014 bis zum 31. Mai 2015 im Rafael Roth Learning Center zu sehen ist. Um mehr darüber herauszufinden, welche Bedeutung Reklamemarken vor dem Ersten Weltkrieg hatten, recherchierte ich in zeitgenössischen Reklamehandbüchern und Zeitschriften.
In ersteren fand ich relativ wenig zum Thema, denn die kleinen Bildchen spielten offensichtlich neben anderen Formen der modernen Werbung wie Plakaten oder Zeitungsannoncen eine untergeordnete Rolle.
Mehr Erfolg hatte ich beim Nachforschen in Zeitschriften. Egal ob in Publikationen für eine breite Leserschaft oder in Fachzeitschriften für das Druckgewerbe: Die Reklamemarke war für den kurzen Zeitraum von 1912 bis 1914 ein Massenphänomen, das dementsprechend heiß diskutiert wurde. »Ist es zu befürworten, dass Reklamemarken von Firmen und Geschäftsinhabern teilweise in Millionenauflage und in sehr unterschiedlicher Qualität gedruckt und verteilt werden?« »Ist die Reklamemarke überhaupt ein effektives Werbemittel?« »Und ist das Sammeln von Reklamemarken eine pädagogisch sinnvolle Beschäftigung für die Jugend, die kurzzeitig von einem regelrechten ›Sammelfieber‹ erfasst wurde?« Die Argumente, die damals über den existentiellen Sinn oder Unsinn der Reklamemarke ausgetauscht wurden, finden sich in ganz ähnlicher Form in Diskussionen über die Auswirkungen der Smartphone-Nutzung auf Jugendliche heute.
Reklamemarken wurden kurz vor dem Ersten Weltkrieg vor allem als Beigabe an Kunden verteilt, um diese zu motivieren in bestimmten Geschäften einzukaufen, bestimmte Produkte zu erwerben oder eine größere Menge (zwei Seifen statt einer) mitzunehmen. Besonders gut funktionierte diese Methode bei Eltern, denn Kinder waren offensichtlich schon vor hundert Jahren bei Familieneinkäufen »tonangebend oder im Elternhause anregend«, wie sich aus empörten zeitgenössischen Berichten erfahren lässt. Und Geschäfte, in denen Reklamemarken verteilt wurden, erfreuten sich bei den kleinen Sammlern großer Beliebtheit.
So kann ich meinen Freunden nun erzählen, dass Reklamemarken eigentlich nichts anderes sind als heute Plastikdinosaurier in Cornflakes-Packungen, Tiersammelkarten von Einzelhandelsketten oder Payback-Punkte in der Drogerie. Nur handelt es sich bei den Reklamemarken tatsächlich häufig um kleine Kunstwerke, deren Betrachtung auch hundert Jahre später noch Spaß macht und die einen Ausstellungsbesuch lohnen.
Mariette Franz, Medien