Fotos, die Masken herunterreißen – Ein Gespräch mit Ruthe Zuntz

Farbfotografie mit einer lächelnden Frau im Porträt

Ruthe Zuntz im Porträt © Ruthe Zuntz

Nicht einmal drei Monate, nachdem der Kunstautomat in die zweite Runde gegangen ist, sind die 1.400 Objekte auch schon ausverkauft. Mit etwas Glück konnten die Besucherinnen und Besucher etwa ein Bild von Ruthe Zuntz aus dem Automaten ziehen: »PHOTOMAT: Challenging WallMAT« nannte die Fotografin ihre zehn Motive umfassende Reihe auf quadratischen Aluminium-Dibonds, die nun in verschiedenen Haushalten strahlen – so wie Ruthe selbst, die ich vor Kurzem getroffen habe, um mehr über ihre Kunst zu erfahren:

Ruthe, Du bist eigentlich für große, raumgreifende Installationen bekannt. Für den Kunstautomaten hast Du eine Reihe kleiner Fotoabzüge erstellt. Wie passt das zusammen?

Ich fand das Projekt wirklich spannend, weil es zu einem meiner Grundgedanken passt: Kunst kann so viel bewegen und helfen, Dinge zu ändern. Durch den Kunstautomaten haben die Menschen nun die Gelegenheit, ein Fragment meiner Arbeit mit nach Hause zu nehmen, ein Stück »Take-Away-Art«.

Die Bilder Deiner Reihe »PHOTOMAT: Challenging WallMAT« für den Kunstautomaten stammen aus Deinem Projekt »Challenging Walls«, bei dem Du 2007 auf ein Stück der Mauer, die Israel vom Westjordanland trennt, Fotos aus Israel, Palästina, Nordirland, Zypern und Deutschland projiziert hast. Vielleicht kannst Du unseren Leserinnen und Lesern etwas über das Projekt erzählen – hier in Deutschland haben wir ja auch unsere Erfahrungen mit Mauern…

Farbfotografie einer Kunstinstallation mit Bildprojektionen an eine Mauer im Dunkel mit Menschen davor und einem Weitblick auf dahinter liegende beleuchtete Wohnhäuser

Die Installation »Challing Walls«, Foto mit freundlicher Genehmigung von Ruthe Zuntz

Ich war kurz vor dem Mauerfall das erste Mal in Berlin, bevor ich 1991 endgültig in die Stadt gezogen bin. Damals dachte ich, die Ära der Mauern sei endgültig vorbei – ich habe mich so gefreut! Und dann wurde 2003 die Mauer in Israel errichtet. Man kann sie als Schutz sehen, man kann sie aber auch anders bewerten: Sie trennt Menschen voneinander, Freunde wie Feinde. Gemeinsam mit anderen Künstlern haben wir mit der Mauer gespielt, sie wie einen Silver screen benutzt. Hier findet sich dann auch ein Bezug zu meinen Fotos für den Kunstautomaten! Diese sind ja auf Silberplatten gedruckt, Silver screen – silberne Platten. (lacht)

Was wolltest Du mit »Challenging Walls« erreichen?

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Ruthe Zuntz vor der israelischen Mauer © Ruthe Zuntz

Mir kam die Idee für das Projekt 2003, als es sehr viele Terroranschläge in meiner Heimat Israel gab. Ich lebte damals schon in Berlin, wurde aber oft von Freunden angerufen, die immer verzweifelter klangen. Das konnte ich nicht länger mit ansehen. Also fragte ich mich, was ich als kleine Künstlerin machen kann, um einen Funken von Hoffnung und Frieden zu schaffen. Nach und nach entwickelte ich so »Challenging Walls«: Mir ging es darum, den Alltag von Menschen zu zeigen, die von Mauern getrennt werden. Künstler aus Israel und Palästina haben ganz alltägliche Fotos diesseits und jenseits der Mauer geschossen – und so ein Fenster geöffnet. Um eine universellere Perspektive zu geben, wurden auch Künstler aus Europa eingeladen – aus Nordirland, Zypern und Deutschland – um ihren Blick auf Mauern und das Leben mit ihnen beizusteuern.

Das Ergebnis war dann eine riesige Multimedia-Inszenierung auf einem Teilabschnitt der Mauer…

… als ich diese nach der langen harten Arbeit das erste Mal gesehen habe, war ich sehr berührt. Viele Menschen sagten mir vorher, dass das Projekt scheitern würde, dass ich niemals die notwendigen Genehmigungen bekommen geschweige denn einen palästinensischen Fotografen finden würde. Aber es klappte! So ist etwa der palästinensische Fotograf mittlerweile ein guter Freund von mir – er wohnt gegenüber. Wir haben also wirklich Mauern überwunden. (lacht)

Farbfotografie mit zwei Spiegeln an einer Wand und Spiegelung einer sitzenden alten Frau

Israel 2007: Ruthe rührte die Frau im Friseursalon, Foto mit freundlicher Genehmigung von Ruthe Zuntz

Bei den zehn Bildern aus Israel, die Du nun für den Kunstautomaten ausgewählt hast, fällt die Vielfalt Deiner Motive auf: Es gibt Fotos, die sehr melancholisch, fast schon traurig wirken, und dann wieder solche, die einen ganz eigenen Witz versprühen…

Das sind die verschiedenen Seiten des Landes. Mit dem melancholischen Bild meinst Du bestimmt das der alten Frau, die in dem Friseursalon sitzt… Diese Frau hat mich sehr berührt – sie sieht aus, als ob sie seit Jahren darauf wartet, dass etwas passiert, aber das tut es nicht.

Was hat es denn mit dem Bild von der im Wind wehenden Wäsche auf sich?

Wäsche ist ein großes Thema für mich. Als ich den ersten Sommer in Berlin war, faszinierte mich das Verhalten der Menschen hier: Die Leute legten sich mitten in der Großstadt nackt zum Sonnen in die Parks. Das würden Israelis oder Palästinenser nie tun. Dafür hängen beide Völker ihre Wäsche draußen auf, was auch sehr intim ist.

Wie war es sonst für Dich, als Du nach Berlin gezogen bist?

Farbfotografie mit weißen Stoffbahnen an einer Wäscheleine hängend, von unten fotografiert vor blauem Himmel

Israel 2007: Wäsche ist für Ruthe ein wiederkehrendes Motiv, Foto mit freundlicher Genehmigung von Ruthe Zuntz

Im Grunde habe ich den Kreis meines Vaters geschlossen – denn väterlicherseits stamme ich aus einer deutschen Familie und das in 16. Generation. Mein Großvater hatte meinen Vater 1939 nach Palästina geschickt, er selbst wollte in Deutschland bleiben. Als mein Vater mich dann in Berlin besuchte, sprach er zum ersten Mal nach Jahrzehnten wieder Deutsch. Er schloss also durch mich seinen Frieden mit Deutschland. Umso schöner finde ich es, dass mit »PHOTOMAT: Challenging WallMAT« israelische und palästinensische Fragmente nach Berlin kommen, das ist doch der Gedanke einer »united world «…

…der Kunstautomat ist mittlerweile schon ausverkauft…

Wirklich? Das finde ich toll! Denn das heißt, dass die Objekte jetzt schon bei den Menschen zu Hause ihre Aura ausstrahlen.

Das Interview führte Alice Lanzke, Medien.

Mehr von und über Ruthe Zuntz gibt es auf ihrer Seite. Ruthe arbeitet derzeit an einer neuen Ausstellung in Berlin-Friedrichshain und will als nächstes langfristiges Projekt einen Science-Fiction-Film über den Frieden zwischen Israelis und Palästinensern drehen – es bleibt also spannend!

 

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