Ein Kleiderschrank im Retro-Stil, darauf ruht ein Totenkopf – ein Sammelstück von Victor Alaluf. In seinem Atelier in Berlin-Friedrichshain treffe ich den aus Argentinien stammenden Künstler zum Gespräch.
In seinen Werken – vor allem Installationen, in denen Zeichnungen, Kollagen, Skulpturen, Videoarbeiten und Objekte des Alltags miteinander kombiniert werden – thematisiert Alaluf existenzielle Erfahrungen im Umgang mit Tod und Schmerz, Vergänglichkeit und Fragilität alles Lebenden. Entscheidend ist dabei die Wahl des Materials und der Objekte. Häufig sind es zerbrechliche Stoffe wie Glas oder Keramik, oder auch organisches Material wie menschliches Haar oder Blut. Eine besondere Vorliebe hat der Künstler für gebrauchte oder beschädigte und »unbrauchbare« Materialien. So stammt etwa das Holz, das Alaluf für die Rahmung einiger seiner neu entstehenden Werke benutzt, vom abgebauten Bodenbelag eines unter Renovierung stehenden Gebäudes. Solche Materialien holt Alaluf zu sich, um sie – als Bestandteil seiner Kunst – vorm Verschwinden zu bewahren. Auf Trödelmärkten kauft er diverse Objekte des Alltags wie alte Holzuhren oder Möbelstücke, die er ebenfalls in seine Installationen integriert. An diesen Objekten faszinieren den Künstler die Spuren der Zeit – Lebensgeschichten, die sich dahinter verbergen und die er als »Essenz« versteht.
Mir scheint, als ob Alalufs Kunst seine eigene Lebensgeschichte mit reflektiert – seine Erkrankung an Leukämie, die er besiegen konnte. Wie Alaluf mir erklärte, verweisen auf diese Erfahrung zum Beispiel die medizinischen Nadeln, mit denen er Scherenschnitte auf den Bildgrund fixiert. Auch in seiner Videoarbeit »Barefoot in the Dark« von 2014 nimmt Alaluf Bezug auf Erkrankungen des Körpers und Prozesse der Heilung. Die Arbeit porträtiert einen von Schmerzen gequälten Mann, der einer Behandlung unterzogen wird. Pulsierende MRT-Scans des menschlichen Gehirns werden eingeblendet. Ikonografische Motive wie die Dornenkrone kommen ins Spiel, wenn alle möglichen Übel über den Mann herauszubrechen scheinen. Am Ende aber werden die Wiedergeburt und das Leben beschworen: Es erstrahlt ein blauer Himmel, vor dessen Hintergrund ein Schwarm Schmetterlinge – die der Künstler als ein Symbol der Hoffnung versteht– seine Ornamente zeichnet.
Victor Alaluf hat für den Kunstautomaten in unserer Dauerausstellung die Werkserie »Essence« geschaffen. Leider ist diese Serie, die seit Sommer diesen Jahres zu erwerben war, inzwischen ausverkauft.
Die Werke bestanden aus zwei Schichten aufeinander geklebten Samtpapiers. Die erste Schicht war in der Mitte kreisförmig verkohlt und öffnete den Blick auf die zweite, darunter liegende Schicht. Auf dieser waren drei unterschiedliche, per Siebdruck aufgebrachte Motive zu sehen. Eines davon erinnerte an die menschliche Lunge und gleichzeitig an Schmetterlingsflügel in leuchtenden Farben. Ein anderes zeigte ein fein gezeichnetes, stilisiertes menschliches Skelett. Das dritte Motiv war der menschliche Embryo in seiner Fruchtblase. Der weiche Samt, transparente Farbschichten, hauchdünne Linien vermittelten den Eindruck von etwas Zartem und Lebendigem. Gleichzeitig stellte man sich vor, wie schnell eine Feuerflamme sich der Dinge bemächtigt und diese zerstört.
In »Essence« lässt Alaluf die scheinbaren Gegenwelten – die des Lebens und des Todes, der Geburt und der Auslöschung – aufeinander treffen. Dass diese Welten keine Gegensätze bilden, sondern unausweichlich miteinander verbunden sind, scheint diese Kunst mit zu reflektieren. Dort, wo die Flamme am Werk war, entstehen neue Bilder, neue Schichten werden frei gelegt. Und dennoch kommunizieren beide Ebenen miteinander und greifen ineinander über: Die dunkelbraunen Linien, die vom Embryo ausgehen, verlaufen bis an die Ränder vom angebrannten Papier und verschmelzen mit diesem im gleichen Farbton.
»Der Betrachter oder die Betrachterin soll in die Vergangenheit ebenso wie in die Zukunft blicken und sich mit dem Lichtvollen ebenso wie mit der Dunkelheit auseinandersetzen« – kommentiert Alaluf in einem Begleittext sein Werk. »Lebt man heute als junger Jude in Berlin, kommt man um solche komplexen Empfindungen nicht herum. Berlin ist eine Stadt, die Hoffnung spendet, und genau darum geht es auch bei diesem Kunstwerk. Es ist Ausdruck der festen inneren Überzeugung, dass aus der Asche der Zerstörung etwas Neues, Lebendiges entstehen kann.«
Denis Grünemeier, Kurator der Ausstellung »Bedřich Fritta: Zeichnungen aus dem Ghetto Theresienstadt«