Veröffentlicht von am 20. März 2015 2 Kommentare

Saskia Boddeke: »Ihr Schmerz wird unser aller Schmerz sein«

Ab dem 22. Mai 2015 zeigt das Jüdische Museum Berlin die Ausstellung »Gehorsam« des Filmregisseurs Peter Greenaway und der Multimedia-Künstlerin Saskia Boddeke. »Gehorsam« basiert auf der biblischen Geschichte vom Urvater Abraham, der dem göttlichen Befehl folgt und sich aufmacht, um seinen Sohn zu opfern. Die beiden Künstler inszenieren diese Geschichte mit Filmprojektionen, kostbaren Objekten, Soundeffekten und raumgreifenden Installationen als eindringliches Schaustück in fünfzehn Räumen. Für Saskia Boddeke bildet die Filminstallation »I’m Isaac / I’m Ishmael« zu Beginn der Ausstellung zugleich das »Herzstück« des gesamten Projekts: Kinder und junge Erwachsene aus aller Welt sind eingeladen, Teil dieser Installation zu werden:

Um unsere Leserinnen und Leser diese Einladung ans Herz zu legen, habe ich mich mit Saskia Boddeke über die Idee der Installation und ihre künstlerische Vision unterhalten.

Mirjam Wenzel: Die biblische Geschichte im 1. Buch Mose, Kapitel 22  beginnt mit der Stimme Gottes, die Abraham anweist, nach Moriah zu gehen und seinen Sohn zu opfern. Aber die Geschichte, die Sie mit der Installation »Gehorsam« erzählen, rückt die Perspektive von Isaak und Ismael an den Anfang. Warum?

Portrait eines Jungen mit der Bildunterschrift "I am Ismael"

Filmstill aus der Installation »I’m Isaac / I’m Ishmael« © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Saskia Boddeke, Videozusendungen an: isaac@luperpediafoundation.com

Saskia Boddeke: Für mich sind Isaak und Ismael die wichtigsten Figuren der gesamten Erzählung. Sie symbolisieren die Kinder, die das Recht haben, beschützt zu werden und in einer Welt ohne Krieg zu leben. Kinder und junge Erwachsene aus der ganzen Welt können sich mit dieser Perspektive auf die biblische Erzählung identifizieren.

Sie haben nun eine Crowdsourcing-Kampagne initiiert, bei der die Teilnehmenden entweder »Ich bin Isaak« oder »Ich bin Ismael« vor der Kamera sagen und so Teil Ihrer Installation werden. Macht es einen Unterschied, welcher Satz gesprochen wird?

Die hebräische Bibel spricht von der Bindung Isaaks. Im Koran wird der Name gar nicht erwähnt und es gab eine längere Diskussion darüber, ob es sich bei dem zu opfernden Sohn um Isaak oder Ismael handelt. Irgendwann entschied dann ein Gelehrter, dass es um Ismael gehe. Meiner Ansicht nach spielt es keine Rolle, welcher der Brüder geopfert werden soll und ich nutze diese Unschärfe für die Installation. Isaak und Ismael werden so zu einem Symbol für alle Kinder, die Opfer von Krieg und Gewalt werden.

Isaak bekam seinen Namen von seiner Mutter Sarah, die bei der Geburt schon sehr alt war und nicht mehr glaubte, noch ein Kind bekommen zu können. Deswegen nannte sie ihn »Er wird lachen« und meinte damit auch: Er wird mich zum Lachen bringen. Hat das Lachen eine Bedeutung für Ihre Installation?

Portrait eines Mädchen mit der Bildunterschrift "I am Isaac"

Filmstill aus der Installation »I’m Isaac / I’m Ishmael« © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Saskia Boddeke, Videozusendungen an: isaac@luperpediafoundation.com

Ja, denn in allen drei Geschichten (d.h. der drei Religionen Judentum, Christentum und Islam) spielen die Frauen keine wirkliche Rolle: Im Koran werden Sarah oder Hagar noch nicht einmal namentlich erwähnt. Deshalb haben wir beschlossen, den Frauen einen speziellen Raum zu widmen. Hier verkehrt sich die Bedeutung des Namens Isaaks: »Er, der mich zum Lachen bringt« wird »Er, wegen dem ich weine.« Denn die Kinder Isaak und Ismael werden ihren Müttern weggenommen, ohne ihnen den Grund zu verraten. Sie können dazu die Interpretation eines Kirchenvaters lesen, der meinte, dass Abraham Sarah nicht die Wahrheit gesagt habe, weil sie  sich sonst »wie eine Frau« verhalten und ihn überredet hätte, ihr nicht den Sohn weg zu nehmen, sondern Gott gegenüber ungehorsam zu sein. Also habe er sie belogen. Der Raum zu Sarah und Hagar ist der Perspektive dieser beiden Frauen gewidmet: An der Decke hängen Flaschen  mit Zamzam-Wasser und es wird so wirken, als ob aus diesen Tränen vergossen werden.

Ihre Installation in fünfzehn Räumen trägt den Titel »Gehorsam«: Was ist der Zusammenhang zwischen der »Ich bin Isaak«-Installation und dem titelgebenden Gebot, Gott, seinem Gesetz oder einer anderen übergeordneten Autorität zu gehorchen?

Unsere Installation wird sich letztlich von der biblischen Erzählung wegbewegen und junge Menschen im Krieg in den Blick nehmen: Wir opfern unsere Jugend, um hier in Frieden zu leben – das ist das Thema unserer Ausstellung. Anstelle des Gehorsams, der Gott und seinem Willen gezollt werden soll, fragen wir danach, inwieweit wir der Logik unserer Gesellschaft bzw. dem gesellschaftlichen Druck gehorchen, die uns anhält zu erhalten, was wir haben.

Zu Beginn der Ausstellung identifiziert sich der Besucher also mit der Perspektive des Kindes, um sich nach und nach zu fragen, ob er nicht doch eher Züge von Abraham hat?

Portrait von einer Frau und einem Mann

Gehorsam/Obedience, S. Boddeke & P. Greenaway © Foto: Digidaan

Der Besucher wird unsere Installation zunächst interessant und schön finden, sich dann beim Gang durch die Ausstellung aber zunehmend unwohl fühlen. Denn »Gehorsam« wird ihn aus seiner Bequemlichkeitszone führen und zum Schluss fragen: Bist Du ein Abraham? Was meint: Würdest Du Dein Kind opfern? Und wie würdest du dich verhalten, wenn ein anderes Kind geopfert wird? Am Ende wird der Schmerz derjenigen, deren Kinder geopfert werden, unser aller Schmerz sein.

Das Gespräch mit Saskia Boddeke führte Mirjam Wenzel, die Übersetzung aus dem Englischen besorgte Alice Lanzke

Kommentiert von Amparo am 9. August 2015, 18:45 Uhr

He visto la exposición en Berlín y nunca deja de asombrarme Peter. Cómo enlaza las tres religiones y a través de los sentidos va captando todo tu interés. Los niños, la guerra, la desigualdad…

Kommentiert von Amparo am 9. August 2015, 18:46 Uhr

Espectacular

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