Wie jedes Museum haben wir Objekte, die unsere Besucher immer sehen können; Objekte, die wir gelegentlich in Wechselausstellungen zeigen und auch Objekte, die eher für die Forschung interessant sind, aber wohl kaum je ausgestellt werden. Und dann gibt es die, die längst einmal hätten ausgestellt werden sollen, aber immer noch im Depot liegen. Wenn solche Werke dann für unsere Online-Datenbank aufbereitet und endlich sichtbar sind, ist das eine besondere Freude.
Eine Sammlung, die in genau diese Kategorie fällt, sind die Grafiken von Leo Prochownik (1875-1936), die uns seine Tochter, Marianne Krausz, noch im Vorfeld der Eröffnung des Jüdischen Museums im Jahr 2000 schenkte. Prochownik, der sich seine künstlerische Ausbildung gegen den Widerstand des Vaters ertrotzen musste, war kein berühmter Künstler. Während die bekannteren seiner Zeitgenossen sich in Abstraktion und Experimente stürzten, blieb er, auch wenn er sich mitunter an große biblische Themen wagte, doch stark ein Porträtist der ihn umgebenden Welt. »Immer wieder war es ihm Bedürfnis nach der Natur zu malen, wie jemand, der noch nicht frei schwimmen kann, sich nicht ins offene Wasser wagt«, schilderte seine Ehefrau, Gertrud Prochownik (1884-1982) das Dilemma.
Seine frühen Arbeiten sind stark vom Jugendstil geprägt. In dieser Zeit veröffentlichte Prochownik auch Zeichnungen in künstlerischen Zeitschriften wie »Die Jugend« oder »Pan«. Der erste Weltkrieg wurde zu einer Zäsur in seinem Leben. Nach Kriegsausbruch begann er, auf den Straßen Berlins die Menschen zu zeichnen – die »Menschen, die vor den Zeitungsauslagen standen, und mit verängstigten Gesichtern die Kriegsnachrichten und die Verlustlisten studierten« (Gertrud Prochownik). 1917 wurde er zum Militär eingezogen, hielt der seelischen Belastung aber nicht lange stand. Von seinem Aufenthalt im Hilfslazarett Kortau im selben Jahr zeugen mehrere Porträtstudien. In Berlin zurück, erholte er sich langsam.
Gertrud Prochownik übernahm die Rolle der Ernährerin der Familie, 1917 begann sie bei der Arbeitsvermittlung der Stadt Berlin, damals »Arbeitsnachweis« genannt, zu arbeiten, wechselte 1920, ein Jahr nach der Geburt ihrer Tochter, zum Frauenreferat des Landesarbeitsamts und übernahm schließlich 1925 den jüdischen Arbeitsnachweis. Über die beruflichen Kontakte seiner Frau kam auch Leo Prochownik, der in der Zeit nach dem Krieg trotz kleinerer künstlerischer Erfolge intellektuell eher isoliert gewesen war, in neue Kreise. Für ein Buchprojekt, das letztlich nicht realisiert wurde, begann er, junge Menschen zu porträtieren, die sich auf die Alija, die Emigration nach Palästina vorbereiteten.
Kurz vor der Eröffnung einer Ausstellung, die im Jüdischen Frauenheim Berlin gezeigt werden sollte, starb Leo Prochownik im Dezember 1936. Während die Tochter, Marianne, 1939 nach England emigrieren konnte, blieb Gertrud Prochownik in Berlin, wo sie im Versteck überlebte. Auch die Werke ihres Mannes, die sie zwischenzeitlich für verloren hielt, wurden gerettet und konnten nach Kriegsende in die Familie zurückkehren.
Nachdem Marianne Krausz dem Museum die Zeichnungen ihres Vaters geschenkt hatte, versuchten wir durch einen Aufruf in der Emigrantenzeitschrift »Aktuell«, diejenigen Personen zu finden, die Prochownik in Berlin porträtiert hatte. Da er die Zeichnungen nicht mit Namen versehen hatte, war dies ein schwieriges Unterfangen, aber einige wenige der Porträts konnten identifizert werden; darunter das Porträt Klaus Mendelsohns. Mendelsohns Mutter, eine Arbeitskollegin Gertrud Prochowniks, wurde ermordet; ihr Sohn Klaus überlebte mehrere Konzentrationslager und verließ Europa nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Prochowniks Porträt ist das einzige Bild aus seiner Kindheit, das noch existiert.
Eine unerwartete Ergänzung bekam der Bestand im vergangenen Jahr: bei der Bearbeitung einer großen Sammlung von Reklamemarken, die uns geschenkt wurde, stießen wir auch auf fünf Marken eines Berliner Schuhgeschäfts, die mit »Leo Prochownik« signiert waren. Die Werbemarken sind noch bis Ende Mai diesen Jahres in der Kabinettausstellung »Sammelwut und Bilderflut« im Original zu sehen. Zwar ist überliefert, dass Prochownik in den frühen Jahren seiner Tätigkeit auch Werbeplakate entworfen hatte, aber uns ist bislang keines bekannt geworden – nun können wir uns vorstellen, wie ein Prochownik-Plakat ausgesehen haben mag und hoffen weiter, auch aus diesem Bereich seines Schaffens noch mehr Objekte zu finden.
Iris Blochel-Dittrich, Sammlungsdokumentation