Der Weg ist nicht einfach zu finden. Wie gut, dass mich die Künstlerin an der nahegelegenen U-Bahn-Station im Wedding abholt. Gemeinsam queren wir Gewerbehöfe, kommen an einem Halal-Imbiss vorbei, steigen Treppen und stehen plötzlich vor der Ateliertür. Kaum hat Anna diese geöffnet, entdecke ich den »Koscherwichtel«, der alles mit seinem Fernglas betrachtet.
Genau diese Figur hat die Künstlerin für unseren Kunstautomaten auf eine Karte gebracht, die man durch Schneiden und Falzen in ein dreidimensionales Objekt verwandeln kann. Auf der Anleitung steht, dass man sich dieses in die Küche stellen solle und alles gut werde.
Anna, was bedeutet der seltsame Name »Koscherwichtel«? Passen »koscher« und »Wichtel« überhaupt zusammen? Wieso wird dann alles gut? Ich bin irritiert.
Bei uns zu Hause stand »Wichtel« für einen kleinen, wichtigen Mann. Von diesen »wichtigen Männern« gibt es viele. Geboren wurde mein »Koscherwichtel« im Jahre 2002. Er soll auf jeden Fall irritieren. »Koscher« und »Wichtel« passen zusammen, weil ich mich der »Heilung der deutsch-jüdischen Krankheit«, wie ich das nenne, verschrieben habe. Dafür arbeite ich mit satirischen Mitteln, die im Unterschied zur Comedy tagespolitische Ausgangspunkte haben.
Du hast sein Geburtsjahr erwähnt. Unter welchen Umständen wurde der »Koscherwichtel« geboren?
Damals hatte ich für das Jüdische Museum Franken in Fürth einen Feinkostladen erfunden. Auf die Frage, ob es »schwere Kost« sei, die ich anbieten würde, antwortete ich »nee, das ist Feinkost« und so entstand »Feinkost Adam«. Ich hatte für das Museum einige Kunstobjekte geschaffen, die mittels einer Art Schatzkarte in der Ausstellung aufgespürt werden konnten. Satirische Texte ergänzten die Installation. Dies hier ist ein Objekt aus der Ausstellung, mein Buch »Jüdisches Atmen. Anleitung zum ausgeatmeten Glück«. Die zugehörige »Brachblüte Rose von Jericho«, die das »innere Öffnen« unterstützt, ist leider schon ausgetrunken, die war echt lecker.
Ich blättere in dem Buch, betrachte die dramaturgische Steigerung des Geschehens, die Annäherung an die »jüdische Seele« durch »jüdisches Atmen«. Da platzt es aus mir heraus: »Anna, wie absurd ist das denn!«
Auf Ausstellungen von der jüdischen Künstlergruppe »Meshulash« (hebr.: Dreieck), der ich auch angehörte, hörte ich von dauerhaft betroffenen »Philosemiten« Kommentare wie »die jüdischen Menschen sind ja so anders«. Danach entstanden spontan die Zeichnungen für das Buch.
Obwohl alles ironisch und leicht wirkt, war die »Feinkost« in Fürth recht schwere Kost für das Publikum, die Presse und die jüdische Gemeinde. Du wurdest sogar als Antisemitin angefeindet.
Die Anzeige erwies sich als absurd und wurde abgewiesen. Satire war damals auf diesem Gebiet kaum bekannt und auch Juden projizierten alles Mögliche hinein. Die Presse überschlug sich. Da schlug die Geburtsstunde meines »Koscherwichtels«. Ich bekam nämlich den Rat: »Heiraten Sie einen braven, religiösen Mann, dann kommen Sie zur Ruhe und müssen diese Sachen nicht mehr machen.« Erst atmete ich tief durch und dann antwortete ich: »Schatz. Frauen wie ich müssen so einen nicht heiraten, die bauen sich einen.« Das habe ich gemacht und schau mal, hier steht er: Er ist perfekt, er ist kleiner als ich, zierlich wie Napoleon, hält die Klappe und sorgt für koscheres Tun.
Du trennst Dich kaum von Deinem Wichtel. Wie ich gesehen habe, ist er sogar im »Happy-Hippie-Jew-Bus« auf den Touren durch Deutschland dabei.
Dabei ist vor allem meine Lebenspartnerin Jalda Rebling, Musikerin und jüdische Kantorin. Wir touren mit »BEA«, so heißt unser derzeitiger Bus, suchen Fußgängerzonen und Schulen auf, um Klischees und Vorurteile mit satirischen Mitteln aufzuweichen. Der Bus ist à la »Peace and Love mit einem deutschen Auto« so gestaltet, dass die Leute unmöglich ernst oder betroffen bleiben können beim Thema Judentum. Im Bus sind witzige Sachen untergebracht, an denen sich viel erklären lässt. Diese Touren machen wir schon seit 2011, damals mit »BEN«, der leider durch den TÜV von uns getrennt wurde.
Gelia Eisert, die garantiert nicht frei von Vorurteilen ist, führte das Gespräch mit Anna Adam.
P.S.: Wenn Anna nicht mit dem Bus fährt, dann unterrichtet sie Kunst und soziale Plastik an einer privaten Kunsthochschule in Berlin, malt zauberhafte Ölgemälde mit Motiven »aus ihrer Erinnerung« und illustriert Kinderbücher – im Atelier waren noch die fantasievollen Dioramen für »Beni, Oma und ihr Geheimnis« zu bewundern.
P.P.S.: Weitere Informationen zu den Kunstwerken sowie den anderen Künstlerinnen und Künstlern des Kunstautomaten finden Sie hier.
Vielen Dank für das interessante Interview. Beim Lesen fiel mir auf, dass Anna Adam tatsächlich eine der ersten, wenn nicht die erste, jüdischen Satirikerinnen in Deutschland nach der Shoa ist (ausgenommen Schriftsteller). Wäre es daher nicht wichtig, dass einige ihrer Objekte einen Platz im Jüdischen Museum Berlin bekommen? Auch wenn die Feinkost, wie bei Satire gewollt, nicht allen schmeckt.