Wie schnell das immer geht: Gefühlt hat die dritte Runde des Kunstautomaten in der Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin doch eben erst begonnen, und nun soll alles schon fast wieder ausverkauft und vorbei sein – 2.600 Werke seit April? Wenn das kein Grund ist, noch mal schnell bei Howard Katz vorbeizuflitzen und ihm ein paar Fragen zu stellen, zumal er als erster von bisher immerhin 22 beteiligten Künstler*innen mit Musik an den Start gegangen ist …
Dagmar Ganßloser: Howard, du bedienst mit deiner künstlerischen Arbeit sehr unterschiedliche Genres: Du bist als Tänzer, Performer und Choreograph, aber auch als Bildender Künstler tätig, und außerdem bist du Singer-Songwriter. Im Kunstautomaten sind von dir nun die Werke »Mix Tape« sowie »4 Kurzfilme« gelandet. Wie kam es zu dieser Auswahl?
Howard Katz: Mir war von Anfang an klar, dass ich mich im Kunstautomaten über meine Musik präsentieren möchte. Die 17 Songs auf »Mix Tape« sind über die letzten zwanzig Jahre hinweg entstanden und erzählen, wie auch »4 Kurzfilme«, überwiegend von Erfahrungen, die ich gemacht habe, seit ich in Berlin lebe, also seit Mitte der 1990er Jahre. Alles ist sehr low profile produziert, und die Auswahl habe ich intuitiv, eben mit dem Herzen getroffen. Die vier Videos zu meinen Songs auf der DVD habe ich komplett selbst gemacht, mit meinem Telefon, und damit diesen Anlass auch als Gelegenheit genutzt, mal was Neues auszuprobieren.
Auf »Mix Tape« sprichst du deine potentiellen Hörer*innen direkt an, bittest sie um Feedback über deinen YouTube-Channel und ordnest deine Art zu erzählen als »very Jewish way of storytelling« (typisch jüdische Art des Geschichtenerzählens) ein. Was meinst du damit?
Ich bin in New York aufgewachsen und habe als Jude einer von vielen Minderheiten angehört, was alles andere als konfliktfrei war. Aber als ich hierher kam, wurde meine Aufmerksamkeit ziemlich stark auf mein Jüdischsein gelenkt. Meine Arbeiten wurden ein paar Mal abgelehnt, weil sie zu persönlich und zu emotional sind. Eine Frau sagte mal zu mir »das ist ein bisschen peinlich, weil es so emotional ist. Wir brauchen Distanz«. Jüdisch heißt für mich: Wir sind ziemlich nah aneinander, manchmal schmerzt das, manchmal klebt es, und es gibt Reibung.
Seit wann schreibst du Songs?
Mit zwölf oder dreizehn habe ich meine ersten Lieder geschrieben. Meine Musik von damals finde ich auch immer noch ganz charmant und schön, aber erst mit Mitte 40 habe ich dann wirklich meine Musik gefunden. Ich schreibe übrigens auch Lieder auf Deutsch…
Du beschäftigst dich neben Tanz und Musik auch mit Bodywork, also Körperarbeit. Machst du das auch schon so lange?
Ich hab mich von klein auf sehr für Menschen interessiert und habe einfach sofort gesehen, wenn irgendwas an der Qualität ihrer Bewegungen oder auch ihrer Emotionen interessant war. Das ist mein Talent. Insofern wollte ich immer mit Menschen arbeiten, das war ziemlich klar. Mit acht Jahren wollte ich meine Eltern überreden, mich Tanzen lernen zu lassen, aber das haben sie nicht erlaubt. Eigentlich habe ich dann noch lange gewartet – weitere acht Jahre! – aber dann habe ich angefangen (lacht): Mit 16 bin ich von zu Hause ausgezogen, habe eine Tanzausbildung angefangen, nebenher gejobbt, und mit 17 hatte ich dann schon meine eigene Praxis in einem New Yorker Tanzstudio mit Reflexzonenmassage und anderen Massagetechniken.
Was mich sehr beeindruckt hat an der Fülle deiner Arbeiten ist, dass sie zwar sehr, sehr unterschiedlich sind, aber trotzdem alle deine Handschrift tragen. Das gilt nicht nur für deine Musik, auch bei deinen Choreographien ist das so. Ich denke da beispielsweise an »Kata«. Und selbst bei dem von dir entwickelten Bewegungssystem »5qualities« kann man das beobachten!
»Kata«, Performance von und mit Howard Katz, am Cello Mathias Herrmann, 2001
Meine Handschrift ist immer ganz klar sichtbar, ich kann nicht genau sagen, warum das so ist. Andere machen immer das Gleiche, aber trotzdem erkennt man keine Handschrift, bei mir sieht man das immer. Meine künstlerische und meine therapeutische Arbeit sehe ich aber tatsächlich auch als Einheit.
Um was geht es bei »5qualities« genau, verfolgst du damit das Ziel, einen Bewegungsstil zu vermitteln oder geht es dir um mehr?
Angefangen hat es damit, dass ich ein Bewegungssystem gesucht habe, das jede*r erlernen kann. Ich habe natürlich mit viel mehr Qualitäten angefangen, mit 122! Und dann gemerkt, dass es eigentlich nur fünf Bewegungsqualitäten gibt: carry/tragen, fall/fallen, flow/fließen, throw/werfen, put/setzen – der Rest ist letztlich immer nur eine Mischung aus diesen fünf Basisqualitäten. Ich habe diese fünf Qualitäten dann in jedem Tanzstil und auch in jeder Kampfsportart wiedergefunden. »5qualities« kann als Technik dabei helfen, Menschen auszubalancieren und damit den Prozess der Selbstentfaltung beziehungsweise Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen. Ich heile also nicht, es geht mir eher um Ermutigung zur Selbsthilfe.
Howard Katz zeigt put/setzen, eine der Bewegungsqualitäten von »5qualities«
An was arbeitest du im Moment noch?
Meine Frau Liz Williams und ich haben Ende Juni unsere erste Varieté-Show gemacht, »NOIR. MusicCircusTheater«, mit den besten Artist*innen Berlins, die sind echt phantastisch! Wir machen so richtig gefährliche Luftnummern (demnächst stellen wir das als Clip online), das habe ich in den letzten beiden Jahren gelernt und ich bin dabei ziemlich stark geworden. Für »NOIR« habe ich zudem mit meiner Band PostHolocaustPop – allerdings unter dem Namen PostTraumaticPop – die Musik gemacht. Inzwischen haben wir mit den Artist*innen eine Company gegründet, wir machen also weiter.
Das Interview führte Dagmar Ganßloser, die nachhaltig beeindruckt ist von der Fülle an Energie, über die Howard Katz zu verfügen scheint.
Und noch ein Tipp: Im HilbertRaum, einem von Künstler*innen betriebenen Projektraum im Berlin-Neuköllner Reuterkiez, sind regelmäßig Arbeiten von Howard Katz zu sehen.
P.S.: Weitere Informationen zu den Kunstwerken sowie den anderen Künstlerinnen und Künstlern des Kunstautomaten finden Sie hier.