Die Anzeige eines Auktionshauses als letztes Lebenszeichen aus Deutschland
In unserem Archiv haben wir Bestände mit ganz unterschiedlichen Überlieferungsgeschichten: Wir erhalten Vorlässe von deutsch-jüdischen Emigranten aus der ganzen Welt, oder deren Kinder wenden sich an uns und übergeben die Nachlässe ihrer Eltern. Einige Stiftungen bekommen wir auch aus Deutschland, oft von Menschen, die selbst nicht jüdisch sind, aber in deren Familien Erinnerungsstücke an jüdische Freunde oder Bekannte überliefert sind.
Ende des vergangenen Jahres erhielten wir eine Schenkung aus dem Nachlass eines ehemaligen Berliners, der kurz zuvor in New Jersey, USA verstorben war. Es handelte sich um einen großen Koffer, der mit Dokumenten, Briefen, Fotografien und auch Objekten bis oben hin gefüllt war. Materialien, die eine Vertraute des Verstorbenen nach seinem Tod zusammengepackt und so vor der Vernichtung gerettet hatte. Der Koffer enthielt das Vermächtnis von Arno Roland und seiner Familie.
Über Arno Roland, früher Rosenfeld, hatten wir durch einen über zehn Jahre zurückliegenden Kontakt bereits einige Informationen. Wir wussten, dass er mit seinem Bruder Ulli Anfang 1939 mit einem Kindertransport von Berlin in die Niederlande geflohen war und dass die Brüder nach der deutschen Besatzung untergetaucht waren. Außerdem war uns bekannt, dass man Ulli Rosenfeld 1942 festnahm und nach Auschwitz deportierte, während Arno Rosenfeld im Versteck überlebte. Ihre Mutter hatte sich 1938 das Leben genommen, der Vater Erich Rosenfeld konnte in die USA auswandern. Genauere Details dieser Geschichten waren jedoch nicht überliefert.
Als ich den Koffer von Arno Roland auspackte und Stück für Stück durchging, fielen mir vor allem der Abschiedsbrief der Mutter vor ihrem Freitod sowie Briefe der Brüder aus den Niederlanden auf, geschrieben voller Not und einer bangen Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Ein ganzer Stapel von Fotografien, die in die zwanziger Jahre zurückreichen, gab mir indessen ein Bild von glücklicheren Tagen im Leben der Familie Rosenfeld: einer Zeit, in der Erich Rosenfeld noch seine gutgehende Fabrik für Holzleisten besaß und der Zukunft der Kinder nichts im Wege zu stehen schien.
Zwischen diesen ganz privaten Familienbildern tauchten plötzlich Fotografien von der Berliner Wohnung der Rosenfelds in der Helmstedter Straße 31 im Bezirk Wilmersdorf auf. Zu sehen sind schöne, große Räume mit einer üppigen Einrichtung voller Antiquitäten und Malereien. Auf einem der Bilder steht auf der Rückseite mit Hand geschrieben »Unser schönes Herrenzimmer«. Ich fragte mich, zu welchem Zweck diese professionellen Aufnahmen wohl gemacht worden waren. Die Räume wirken prachtvoll, aber unbewohnt, und man kann sich nur schwer vorstellen, wie sie einmal mit Leben gefüllt waren.
Als ich die Materialien weiter sichtete, stieß ich auf die Anzeige eines Berliner Auktionshauses mit der Abbildung genau dieses Fotos vom sogenannten Herrenzimmer der Familie. Darunter war der Auktionstermin angegeben, der 21. Januar 1941, und auf der Rückseite waren die zum Angebot stehenden Einrichtungsgegenstände und der ausdrückliche Hinweis »Nichtarischer Besitz« vermerkt. Die Fotografien mussten für die Versteigerung angefertigt worden sein und Erich Rosenfeld bis zu dieser Zeit aller Wahrscheinlichkeit nach noch in Berlin gelebt haben.
Angeregt durch diesen außerordentlichen Fund recherchierte ich weiter. Ich fand heraus, dass das Auktionshaus Gerhard Harms auf die Versteigerung jüdischen Besitzes spezialisiert war. Solche Versteigerungen mussten häufig vor der Auswanderung und in großer Eile abgewickelt werden und brachten den Besitzern kaum Ertrag ein. Erich Rosenfeld musste den gesamten Verkaufserlös zur Bezahlung der sogenannten Reichsfluchtsteuer und Judenvermögensabgabe verwenden, als er Deutschland im Mai 1941 verließ.
Aus Passagierlisten geht hervor, dass er 1943 von Lissabon aus in die USA übergesetzt ist. Was geschah also in den zwei Jahren zwischen 1941 und 1943? Es stellte sich heraus, dass er noch einmal geheiratet hatte, nach der Emigration seiner beiden Söhne also nicht allein in Berlin zurückgeblieben war. Aus einem Brief im Bestand wurde schließlich klar, dass Erich Rosenfeld und seine Frau zwei Jahre in Portugal verbracht hatten, bis ihnen endlich die Flucht aus Europa gelang.
Die scheinbar harmlose Karte des Versteigerungshauses, die eine »Gepflegte Wohnungs-Einrichtung« aus dem »Besitz R.« anpreist, ist das letzte Zeichen vom Leben der Familie Rosenfeld in Deutschland, deren Berliner Existenz vor heute genau 75 Jahren »unter den Hammer kam« und mit einem Schlag ausgelöscht wurde. Dieser Jahrestag möge dazu dienen, das Andenken an sie wach zu halten.
Franziska Bogdanov, Archiv, möchte den Bestand bald in einem Findbuch erschließen, damit er auch der Öffentlichkeit zugänglich ist.
Ein sehr gut recherchierter und interessant geschriebener Artikel. Was ist geworden aus der Familie, wo leben Nachkommen ? Gibt es noch heute deren ehemalige Wohnung in Berlin ? Wer hat sie in der Auktion gekauft ?