Wer unser Museum besucht und was unsere Gäste bewegt
Freudiger Trubel in der Museumslobby, denn wir begrüßen unseren zehnmillionsten Besucher seit der Eröffnung im Jahr 2001 und hören erst einmal zu. Genau genommen ist es eine Besucherin: »Ich wollte an meinem freien Tag die Gelegenheit nutzen, mir die Dauerausstellung wieder einmal anzuschauen«, sagt die 33-jährige Berlinerin Paula Konga. Besonders interessiert zeigt sich die Architektin an Daniel Libeskinds Museumsbau. »Das Gebäude kann man auch als Berlinerin mehr als einmal besuchen.« Ein Blumenstrauß plus eine einjährige Mitgliedschaft im Freundeskreis des Museums werden überreicht und schon ist unser Ehrengast verschwunden in die weit verzweigten Gänge des Libeskind-Baus (mehr Informationen zur Architektur des Libeskind-Baus auf unserer Website).
Als nächstes drängelt eine italienische Schulgruppe an mir vorbei, ein Museumsgast bittet mich, seinen Audioguide auf Französisch umzustellen, und eine Gruppe britischer Teenager sucht einen jungen Mann mit rotem Capy. Im Gewusel hänge ich einigen Gedanken nach: Was bewegt euch hier im Jüdischen Museum Berlin wirklich? Ist es tatsächlich in der Hauptsache die markante Architektur? Das Schöne ist, dass es Teil meiner Arbeit am Museum ist, solchen und ähnlichen Fragen nachzugehen. Denn ich arbeite im Bereich Besucherforschung und Evaluation. Regelmäßig führen wir Studien und Umfragen durch, um herauszufinden, ob und wie wir mit unseren Zielen und Vermittlungsabsichten unsere Besucherinnen und Besucher erreichen.
Vor meinem inneren Auge erscheint ein seit März dieses Jahres neu gestalteter Bereich am Ende der Dauerausstellung: Neben dem klassischen Gästebuch bieten wir mit selbstklebenden Zetteln eine neue Form an, Kommentare zur Ausstellung abzugeben. Unter die drei Fragen »Was hat Sie am meisten bewegt?« »Was hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?« und »Was haben Sie vermisst?« können unsere Besucherinnen und Besucher ihre Antworten an die Wand heften.
Die Resonanz ist hoch. Im Schnitt finden wir mehr als 120 »Post-its« – gegenüber »nur« 50 Gästebucheinträgen pro Tag. Ich nehme mir 1.000 Post-its und 1.000 Gästebucheinträge vor, um einen Einblick zu bekommen, was unsere Museumsgäste bewegt, und bin gespannt.
Das Sichten und Sortieren der bunten Zettelwirtschaft macht schnell deutlich, dass es unseren Besucherinnen und Besuchern ein besonderes Anliegen ist, sich mit einer Unterschrift zu verewigen. Dies gilt vor allem für das Gästebuch, in dem über der Hälfte aller Einträge allein aus Unterschriften besteht. Bei den Post-its hingegen sind es nur 15% der gesichteten Kommentare. Soweit so gut und weiter? Die Kommentare auf Post-its sind inhaltsstark und persönlich. Besonders häufig werden die Installation »Schalechet« (hebräisch für »Gefallenes Laub«) von Menashe Kadishman, der »Holocaust-Turm« und der Granatapfelbaum am Anfang der Dauerausstellung erwähnt, sowohl auf der Schrift- als auch auf der Bildebene.
Außerdem zeigt sich, dass der Museumsrundgang bei unseren Gästen offensichtlich zu einer Auseinandersetzung mit den Verbrechen während des Nationalsozialismus führt. (Eine Erkenntnis, die uns natürlich freut.) Es wird ein Denkprozess angestoßen, der durch Kommentare auf Post-its und im Gästebuch in Form von Reflexionen, Aufrufen und Hoffnungen oder Danksagungen ausgedrückt wird wie beispielsweise: »Die menschliche Geschichte ist ein Schreck … Nicht vergessen, um zu vermeiden, dass die gleichen Fehler wieder gemacht werden« und »Ich danke Ihnen für die umfassende Information, auch wenn es kaum zu ertragen ist […]«. Die Besucherkommentare rufen zum friedlichen, respektvollen und gleichberechtigten Miteinander auf: »Lasst uns friedvoll und in Demokratie zusammenleben! Was für ein eindrucksvolles Museum!«, »Questo museo dà la consapevolezza di esistere – Riflessione« (Dieses Museum gibt uns ein Bewusstsein unserer Existenz – eine Reflexion), »Vive la paix de tous les peuples« (Es lebe der Friede aller Völker), »لا للعنصريّة لا للإرهاب« (Nein zu Rassismus, nein zu Terrorismus), »We are all One« (Wir sind alle eins) und »One day hopefully there will be freedom for all« (Eines Tages wird es hoffentlich Frieden für alle geben). Auffällig ist, dass diese Haltung nicht nur sehr häufig vorkommt, sondern sich diese Kommentare in zahlreichen Sprachen finden.
Neugierde hat das neue Projekt bei mir geweckt und ich frage mich abschließend, welche Altersgruppe wohl welcher Kommentarmöglichkeit – der auf Post-its oder der im Gästebuch – den Vorzug gibt. Dafür beobachte ich mehrere Stunden lang unsere Besucherinnen und Besucher in diesem Bereich der Ausstellung – auch das gehört manchmal zu meinem Job in der Besucherforschung. Dabei wird deutlich, dass das traditionelle Gästebuch vor allem die über 40-Jährigen anspricht. Die Altersgruppe der 17- bis 25-Jährigen wird eher von den Post-its angezogen. Sie greifen gerne zu Zettel plus Kuli und »posten« – ganz analog – ihre Eindrücke des Museumsbesuchs.
Alexa Stahr freut sich über das vielseitige Feedback in Schrift und Bild, das uns im Museum wertvolle Hinweise gibt, und bedankt sich an dieser Stelle bei allen Post-it- und Gästebuch-Autorinnen und Autoren.
Eine grossartige Idee, die Post-its Wand. Die bunten Posts machen neugierig, fallen sofort ins Auge.
Weil sie im Alltag verwendet werden, gibt es auch keine Schwelle, die zu überwinden wäre, einen Kommentar zu schreiben im Gegenteil, es macht Spass. Viel Erfolg weiterhin.