»Da ist irgendetwas passiert, mit dem wir alle nicht mehr fertig werden«, sagte Hannah Arendt über Auschwitz und die Folgen in einem legendären Fernsehinterview mit Günter Gaus. Ein zweiminütiger Ausschnitt aus diesem Interview bildet den Auftakt der Filminstallation zum Auschwitz-Prozess in unserer Dauerausstellung (vgl. den Blogtext zur Neueröffnung dieses Ausstellungskapitels im Sommer 2013). In einer Ausstellung mit Fotografien von Fred Stein (2013/2014) haben wir unter anderem seine berühmten Porträts der politischen Theoretikerin gezeigt, die wir auch hier im Blog vorstellten (ein weiteres finden Sie auf der Ausstellungswebsite).
Hannah Arendt beeinflusst auch zeitgenössische Künstler*innen: Alex Martinis Roe forderte in ihrem Werk für unseren Kunstautomaten mit dem Titel »Brief an die Deutsche Post«, dass die Briefmarke mit der Abbildung Hannah Arendts neu aufgelegt werde (vgl. unser Interview mit der Künstlerin hier im Blog). Im Dezember letzten Jahres fand bei uns im Museum zudem ein Symposium statt, das ausgehend von Hannah Arendt die aktuelle Bedeutung von Pluralität für Theorie und Praxis auslotete (vgl. die Vortragsthemen in unserem Veranstaltungskalender).
Nun hat das Philosophie Magazin der Ausnahmedenkerin unter dem Titel Hannah Arendt. Die Freiheit des Denkens ein Sonderheft gewidmet, das seit dem 16. Juni 2016 erhältlich ist.
»Arendts Denken war immer politisch und streitbar, sie hat die Öffentlichkeit nie gescheut, ja, im öffentlichen Engagement geradezu eine staatsbürgerliche Pflicht gesehen. […] Arendt wieder zu lesen, heißt nicht, bloß ihren Ideen zu folgen. Sondern vielmehr auch ihrem Ideal, dem beherzten Denken ›ohne Geländer‹ und ohne Vorurteile. Es heißt, uns mit der Welt, in der wir leben, aktiv auseinanderzusetzen.«
So charakterisiert Catherine Newmark im Editorial das Anliegen des knapp 150 Seiten umfassenden Hefts. Es versammelt unter den Rubriken »Denk-Beziehungen«, »Flucht, Judentum, Menschenrechte«, »Totalitarismus«, »Vita Activa«, »Das Böse« und »Politik, Macht, Öffentlichkeit« nicht nur wichtige Texte von Hannah Arendt selbst, sondern zusätzlich Beiträge von Seyla Benhabib, Daniel Cohn-Bendit, Volker Gerhardt, Antonia Grunenberg, Rahel Jaeggi, Susan Neiman, Gesine Schwan, Bettina Stangneth und anderen.
Wer sich also mit Hannah Arendts Denken, mit der Banalität des Bösen, dem Sinn von Arbeit, den Ursprüngen des Totalitarismus, Flüchtlingsrechten und dem Geist der Freundschaft neu befassen möchte, kann nun zu dieser Publikation greifen.
Mirjam Bitter, Blog-Redakteurin, war beim Anschauen des berühmten Fernsehinterviews mit Hannah Arendt nicht nur von ihrer Denk- und Formulierungsschärfe beeindruckt, sondern auch davon, wie viel Sendezeit damals solch intellektueller Auseinandersetzung geschenkt wurde und wie das Anzünden einer Zigarette sich choreografisch einfügt.
Das Interview ist in voller Länge auf YouTube zu sehen: