Eine Fotosammlung aus einem Versteck in Berlin-Friedrichshain
Wenn ich eine neue Mappe mit Fotografien öffne, weiß ich nie, was mich erwartet, in wessen Gesichter ich blicke und welche Schicksale sich dahinter verbergen. Häufig sind die Aufnahmen Teil einer größeren Sammlung, welche aus Dokumenten, Alltags- und Kunstgegenständen besteht und bei der wir die Biografien der erwähnten Personen genau kennen beziehungsweise recherchieren können. So war es zum Beispiel bei den Fotografien der Kabarettistin Olga Irén Fröhlich, die ich bereits hier im Blog vorgestellt habe. Dieses Mal aber werden die abgebildeten Personen für mich unbekannt bleiben; ich werde ihnen keine Namen und keine Geschichten zuordnen können. Vielleicht können Sie es?!
Es ist keine Seltenheit, dass ich Sammlungen überarbeite, die schon Jahrzehnte im Besitz des Museums sind. Zwar erwerben wir kontinuierlich neue Objekte durch Schenkungen und Ankäufe. Gleichzeitig ist es aber unser Bestreben, Bestände, die schon längere Zeit im Museum sind, noch besser zu inventarisieren und aufzuarbeiten. Dies ist auch sinnvoll, weil die Recherchemöglichkeiten sowohl online als auch im Bereich der Forschungsliteratur weitaus vielfältiger sind als beispielsweise noch vor 10 oder 15 Jahren. Als Basis für meine Recherchen benötige ich jedoch stets solche Anhaltspunkte wie Namen, Orte, Lebensdaten und Verwandtschaftsverhältnisse der dargestellten Personen. Im Fall der 22 Schwarz-Weiß-Fotografien, um die es hier geht, fehlen diese notwendigen Informationen jedoch in weiten Teilen. Bereits die Tatsache, wie die Objekte in unsere Sammlung gelangten, ist eher ungewöhnlich:
Durch Zufall wurden die Aufnahmen unter dem Fußboden einer Wohnung in der Simplonstraße 19 in Berlin-Friedrichshain gefunden und 1996 an das Berlin Museum übergeben, aus dessen jüdischer Abteilung 1999 das Jüdische Museum Berlin hervorging (mehr Informationen zur Museumsgeschichte auf unserer Website). Die Sammlung ist auf den Zeitraum zwischen 1918 und 1945 datierbar und setzt sich aus Passbildern, Porträts und Freizeitaufnahmen zusammen. Letztere zeigen unter anderem eine Familie bei einem Ausflug ins Grüne, Jugendliche im Freibad Treptow und ein Mädchen in einer Berliner Wohnung. Meine Recherchen nach den wenigen namentlich erwähnten Personen führten allerdings zu keinen brauchbaren Ergebnissen. Somit bleiben die Biografien der dargestellten Personen und ihre Hintergründe vorerst unbekannt. Genau dies sind aber die Informationen, durch die wir viele unserer Sammlungen erst in einen jüdischen Kontext einbetten können. Denn auf den Aufnahmen selbst ist häufig keine konkrete Ausübung der Religion dargestellt.
Was also tun mit einer Sammlung, über deren Herkunft wir beinahe nichts wissen? Zunächst hoffen wir darauf, im Zuge der Onlinestellung von den Nutzerinnen und Nutzern unserer Online-Sammlungen neue Hinweise zu den Bewohnern des Hauses in der Simplonstraße und den dargestellten Personen zu erhalten. Was aber, wenn dies nicht der Fall sein sollte und die Herkunft der Fotografien ungeklärt bleibt? Können sie für unser Museum dann trotzdem eine Relevanz haben? Ich finde ja!
Interessant ist schon die Tatsache, dass der Finder der Fotografien sofort einen jüdischen Kontext vermutete, obwohl die Objekte dafür keine konkreten Anhaltspunkte liefern. Da sie allerdings aus einem Fußbodenversteck stammen und die handschriftlichen Datierungen auf den Rückseiten lediglich bis 1933 reichen, ist mindestens davon auszugehen, dass die Aufnahmen von Verfolgten des NS-Regimes zurückgelassen werden mussten. Heute geben sie Zeugnis von der Existenz dieser Personen und die Aufgabe unseres Museums ist es, die wenigen Spuren ihres Lebens, die sich erhalten haben, für die Zukunft zu bewahren.
Anna Rosemann hofft auf den einen oder anderen Hinweis zu den Fotografien und darauf, dass sie mit diesem Artikel andere Museen dazu ermuntern kann, im Umgang mit ihren eigenen Objekten ungeklärter Herkunft neue Wege zu beschreiten.
Alle Fotografien aus dem Versteck in der Simplonstraße 19 finden Sie auch in unseren Online-Sammlungen.