Veröffentlicht von am 16. August 2016 0 Kommentare

Treiben im weißen Nichts

Eine Begegnung mit der Fotografin Daniela Orvin

DIe Künstlerin Daniela Orvin

Daniela Orvin in ihrer Atelierwohnung in Berlin, in der Hand ihre Holga, eine Plastikkamera, vor ihr der Fotoband »Dressur-Wunder«, rechts unten die Hündin Laika, Juni 2016; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Maren Krüger

»Dyslexic dysgraphia«. Die Fotografien der israelischen Künstlerin Daniela Orvin, die wir seit April 2016 im Kunstautomaten in der Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin anbieten, haben einen schwer verständlichen Titel. Er bedeutet: legasthenische Schreibstörung. »Jedes meiner Werke ist ein Selbstporträt«, sagt die Fotografin und Musikerin, als ich sie an einem sonnigen Nachmittag in ihrer Atelierwohnung in Berlin-Friedrichshain besuche. Sie selbst leidet an einer Leseschwäche, die erst erkannt wurde, als sie schon 29 Jahre alt war – und nach eigener Aussage zu einiger Desorientierung in ihrem Leben führte. Legt man die Fotografien der Werkserie »Dyslexic dysgraphia« nebeneinander, so sehen sie aus wie die Zeichen einer fremden, seltsamen Sprache. Tatsächlich zeigen sie Baumstämme im Schnee. Daniela Orvin hat sie zwischen 2004 und 2006 in einem Park in München aufgenommen. Es war für sie wesentlich, den Schnee ohne Schattierungen abzubilden, und so treiben die Stämme scheinbar wurzellos und isoliert in einer makellos weißen Landschaft.

Fünf Baumstämme vor weißem Hintergrund

Daniela Orvin, Dyslexic Dysgraphia, 2006, Edition 2015; Jüdisches Museum Berlin

Für den Kunstautomaten hat Daniela Orvin die Fotografien in Acrylglasrahmen montiert – und fühlt sich durch diese behutsame Arbeit jedem der Bilder verbunden. Auf die Frage, was die Essenz ihrer Kunst sei, antwortet sie: »Die Leere auf meinen Fotos.« Einsamkeit, Entwurzelung und die Schwierigkeit, sich mit anderen zu verständigen, scheinen in ihrem Werk immer wieder auf. 1973 in Berlin geboren, wuchs sie bis zu ihrem siebten Lebensjahr in Ismaning auf, einem kleinen Ort nahe München. Dann zog die Familie nach Israel, wo Daniela Orvin fortan den größten Teil ihres Lebens verbrachte: Sie ging dort zur Schule und zur Armee, studierte an der renommierten Midrasha-Kunstschule in Beit Berl, war Mitbegründerin und Kuratorin einer Galerie für zeitgenössische Fotografie in Tel Aviv und zeigte ihre Kunst in eigenen Ausstellungen. Aber wirklich zugehörig fühlte sie sich nicht. In den ersten Jahren in Israel erfuhr sie viel Ablehnung von anderen Kindern, die sie als »die Deutsche« sahen. Dieses Gefühl der Fremdheit hat sie auch später nicht verlassen.

Ein Baumstamm und ein Straßenbegrenzungspfeiler vor weißem Hintergrund

Daniela Orvin, Dyslexic Dysgraphia, 2006, Edition 2015; Jüdisches Museum Berlin

2012 zog Daniela Orvin von Tel Aviv in ihre Geburtsstadt Berlin zurück. Deutsch ist ihre Muttersprache, aber sie muss sie neu lernen. »Die Sprache hatte sich lediglich schlafen gelegt«, sagt sie, und so kann sie auf die Erinnerung an ihre Kindersprache zurückgreifen. In Berlin findet sie die innere Ruhe, die sie braucht, um arbeiten zu können. Erfahrungen und Begegnungen, die Natur und das Wetter inspirieren sie zu ihrer Kunst. Am meisten liebt sie die intuitiven Aspekte ihrer Arbeit, die Versuche, zum Wesentlichen eines neuen Werkes zu gelangen, und das Fotografieren selbst.

Klare Linien, Ruhe und Licht, Schwarz und Weiß kennzeichnen Daniela Orvins Atelierwohnung. Dort zeigt sie mir den Fotoband »Dressur-Wunder«. Die Bilder, die er enthält, sind zwischen 2007 und 2009 im Zoologischen Garten in Berlin und im Zirkus Krone in München entstanden. Orvin greift damit Kindheitserinnerungen auf, denn dort war sie als Mädchen mit ihren Eltern. Die Freude der Zoo- und Zirkusbesucher bleibt ausgespart. Vielmehr sehen wir auf den dunklen Fotografien, wie allein und verloren sich die Tiere (und Artisten) in der ihnen fremden Umgebung bewegen. Die Aufnahmen sind ruhig, distanziert und präzise – wie die Künstlerin selbst.

Maren Krüger war sofort bezaubert von Daniela Orvins poetischen Bildern.

Weitere Informationen über Daniela Orvin auf ihrer Website http://www.danielaorvin.com/.

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