Veröffentlicht von am 13. Januar 2017 0 Kommentare

Ein Golem geht um in Berlin

Derzeit trifft man den Golem, eine Figur der jüdischen Mythologie, in einer interessanten Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin. Aber nicht nur dort.

 Fotografie von Männern, die mit Tanzrobotern weiblicher Statur mit langen Kleidern tanzen

Yves Gellie, Human Version 2.08, Dancing Robot, Tohoku University, Japan; Foto: Yves Gellie, galerie du jour agnès b

Gastbeitrag von Roberto Giardina, www.ildeutschitalia.com

Im Foyer des Museums für Kommunikation treiben sich drei Roboter herum, die entfernt an Schachfiguren erinnern. Sie sprechen die Leute in ihrer Nähe an, bleiben stehen und schlagen einen anderen Weg ein, wenn man sie blockiert, oder sie begleiten dich, wenn du dich an ihre Seite gesellst. Kinder wie Eltern sind gleichermaßen fasziniert. Ein Besuch in Berliner Museen ist amüsant, und man muss dafür nicht unbedingt Deutsch können.

Nachdem man im Erdgeschoss gespielt hat, kann man im Museum für Kommunikation die Sonderausstellung über den Goldenen Schnitt besuchen und auf kurzweilige Art vergessenes Schulwissen wieder auffrischen (die Ausstellung Göttlich Golden Genial läuft noch bis 26. Februar, mehr auf der Website des Museums für Kommunikation).

Mit Robotern lässt sich spielen, aber seit jeher sind sie auch ein Albtraum: Nehmen sie uns bald den Arbeitsplatz weg? Solche Maschinen, ob humanoide Roboter oder wie immer sie auch aussehen mögen, können einen Artikel wie diesen hier schreiben oder gar einen Roman, sie schlagen einen Schachmeister, ersetzen Briefträger und stellen am Fließband andere Maschinen her. Es ist der Traum oder der Albtraum der Menschheit, ein uns gleiches Wesen zu erschaffen. Der Kabbala-Forscher Gershom Scholem nannte 1965 den ersten in Israel gebauten Computer »Golem Alpha«.

Ausstellungsraum mit Golem-Actionfiguren, die auf Sockeln stehen und Schatten an die Wand werfen

Blick in die GOLEM-Ausstellung; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Yves Sucksdorff

Im Jüdischen Museum läuft derzeit noch eine Ausstellung über den Golem (bis zum 29. Januar, mehr zur Ausstellung auf www.jmberlin.de/golem). Sie ist faszinierend und außergewöhnlich gut gemacht – und auf ihre Art auch für Jugendliche geeignet. Im Talmud finden sich die ersten Beschreibungen einer aus Staub und Erde modellierten Kreatur, die dank einer magischen Kombination hebräischer Buchstaben lebendig wird. Das Experiment schlägt fehlt, weil – wie der Talmud erklärt – es nur einem vollkommen gerechten, sündenlosen Rabbiner gelingen kann. Da das für kein menschliches Wesen zutrifft, bleibt der Golem ein unerfüllbarer Traum.

Nahansicht einer Golem-Action-Figur, die einen bedrohlichen Schatten an die Wand hinter ihr wirft

Stone-Golem in der GOLEM-Ausstellung; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Yves Sucksdorff

Dennoch ist der Mensch seit jeher in Versuchung. Jede Epoche hatte ihren Golem. Und weil der Versuch, ihn zu erschaffen, Sünde ist, wird das Experiment schlecht ausgehen. Unsere Schöpfung wird sich gegen uns wenden. »Seit seiner Eröffnung vor 15 Jahren hatte das Jüdische Museum den Golem auf seiner Themenliste«, sagt Cilly Kugelmann, Programmdirektorin des Museums. »Es ist die Ambivalenz dieser Figur, die sie immer wieder und noch heute interessant macht.« In der Ausstellung sind 250 Objekte ausgestellt, die teilweise aus New York und Jerusalem kommen. Und sie erstreckt sich vom Kino über Comics bis zu Romanen, von den ersten Bildern im Mittelalter bis zur Popkultur.

Szene aus Der Golem von 1915

Es ist kein Zufall, dass der Golem dank des Romans von Gustav Meyrink 1915 plötzlich wieder aktuell wurde, in einer Welt im Kriegszustand, dem ersten Krieg, in dem Maschinen – von Panzern bis Flugzeugen – zu Protagonisten wurden. »Es gab einen richtigen Golem-Boom«, erklärt Cilly Kugelmann. Im selben Jahr drehte Paul Wegener einen Film nach der Romanvorlage. Es folgten drei weitere Stummfilme. »Der Golem ist noch immer eine beliebte Metapher«, sagt die Kuratorin Martina Lüdicke, »es bleibt eine grundlegende Frage, wo wir den Golem heute finden, und es ist überraschend, wie präsent er auch in Bereichen ist, in denen wir ihn nicht erwartet hätten.«

Sechs Golem-Figuren aus Ton oder Plastik

Diverse Golem-Action- und Souvenirfiguren, 21. Jahrhundert; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Stefanie Haupt

Junge Leute werden sich wundern, wenn sie bei einem Museumsbesuch herausfinden, dass der Golem sich – um nur ein Beispiel zu nennen – etwa in einem Handy verstecken kann, das seine Opfer dominiert, kontrolliert, leitet, ausspioniert. Besucher werden sich fragen, warum in einer Vitrine ein Baseball-Cap von Donald Trump mit der Aufschrift »Make America great again« ausgestellt ist. Und im Museumsshop finden Kinder ein Lego-Set, mit dem sie sich ihren eigenen Golem aus Plastik bauen können, wie die beiden Rabbiner aus Babylon.

Der Autor Roberto Giardina lebt seit 1986 in Deutschland, er ist Korrespondent für QN (Giorno-Resto del Carlino – La Nazione) und Italia Oggi sowie Autor diverser Romane und Essays, die ins Französische, Spanische und Deutsche übersetzt wurden. In Deutschland erschien Anleitung die Deutschen zu lieben (Argon und Goldmann), Königliche Verschwörung: wie die Coburger Europa eroberten (Bertelsmann), Keine Angst vor Rothaarigen (Argon), Hundert Zeilen (Arena) und zuletzt Berlin liegt am Mittelmeer (Avinus Verlag).

Übersetzung aus dem Italienischen: Mirjam Bitter
Dieser Text erschien zuerst auf Italienisch im Online-Magazin Il Deutsch-Italia.

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