Ein Boot aus Holz und bemalte Leinwandstreifen, ein jodelnder Flamingo, ein Foto von türkisen Kacheln aus einer Berliner U-Bahn-Station, zwei nachgebildete Torten, verwandelte Ugarit-Buchstaben, ein Fischer, ein Theaterstück. Was haben sie alle miteinander zu tun? Sie werden alle im Sommer im Jüdischen Museum Berlin ausgestellt.
Und was haben ein in seiner irakischen Heimat bekannter Autolackierer, eine Architektin aus Syrien, ein junger Koch aus Ägypten, ein Maler aus der ehemaligen UdSSR, eine Doktorandin aus Griechenland und eine Berliner Sozialarbeiterin miteinander zu tun? Sie werden alle im Sommer im Jüdischen Museum Berlin ausstellen.
Am 12. Juli wird eine Gruppenausstellung mit dem Titel Der Blaue Raum eröffnen. Sie wird der Höhepunkt eines Begegnungsprojekts, das ich seit Januar begleite.
Als Künstlerin, die auch als Guide im Museum arbeitet und nicht aus Deutschland stammt, stellt dieses Projekt eine begrüßungswerte Herausforderung für mich dar. Besonders interessierte mich – anders als bei Führungen – einmal kontinuierlicher mit einer Gruppe zu arbeiten, zumal mit einer Gruppe aus mehreren sehr unterschiedlichen und mir vorher nicht bekannten Künstler*innen und Kunstinteressierten. In unserem Open Call, den wir an unterschiedliche Organisationen und Plattformen schickten, haben wir weder eine Altersgrenze gesetzt, noch ein Portfolio oder einen Arbeitsvorschlag gefordert. Wir beschlossen, zunächst alle Leute, die Interesse gezeigt haben, einzuladen. Wir wollten einen Raum bieten, der sich den Bedürfnissen und Wünschen der Teilnehmer*innen anpasst. So konnte es sowohl eine professionelle Kunstausstellung als auch ein Summer-School-artiger Kurs werden. Von Mitte Januar bis Ende Juli 2017 bieten wir drei Tage pro Woche einen Atelierraum, Materialien, Workshops zu verschiedenen künstlerischen Techniken, ein Kennenlernen des Jüdischen Museums Berlin und ein verbindliches wöchentliches Treffen an.
Schon beim ersten Treffen äußerten sich einige Teilnehmer*innen besorgt, »nur« als »Geflüchtete« wahrgenommen zu werden: Ist das bewertend von außen? Stigmatisierend? Geht es um ihren rechtlichen Status oder um ihre Kunst? Wird die Ausstellung das thematisieren? Müssen wir über Flucht und Trauma sprechen? Ich fand es wichtig, das noch offen zu lassen, die unterschiedlichen Meinungen zu akzeptieren und »einfach« zu schauen, wie die Gruppendynamik sich entwickelt.
Wie würde es für manche Teilnehmer sein, von drei Frauen geleitet zu werden? Welche Reaktionen würde ich bekommen, wenn ich mich als Israelin und Jüdin »oute«? Diese Fragen gingen mir vorher durch den Kopf. Hilfreich war hier unser Besuch der Wechselausstellung A Muslim, a Christian and a Jew von Eran Shakine beim zweiten Treffen (mehr zur Ausstellung auf unserer Website).
Die humorvolle und kluge Art, in der Shakine »schwierige Themen« handhabt, erleichterte die Diskussion solcher Fragen. Genau wie Shakine und seine Akteure suchen wir einfach nach Glück und Mitmenschen. Unsere Wünsche, Träume und Hoffnungen liegen ja letztendlich ganz nah beieinander. So interagierten wir mit Shakines Arbeiten und wurden inspiriert, unsere eigenen Zeichnungen zu machen. Besonders bewegend fand ich den Moment, als ein Teilnehmer – ein professioneller Comiczeichner aus Syrien – bemerkte, dass dies seine erste Comiczeichnung seit über 20 Jahren war.
Es hat sieben Treffen gedauert, bis wir eine feste Gruppe waren. Dabei lag der Fokus auf der kreativen Arbeit, die Meetings sollten nicht allzu sprachlastig werden. Von Anfang an haben wir alles zweisprachig verhandelt, auf Deutsch und Englisch, und achteten darauf, dass die Sprache nicht zu kompliziert oder zu schnell gesprochen wird, da für die meisten beide Sprachen relativ neu sind. Wir wollten aber auch, dass alle Gelegenheit haben, ihr Deutsch zu nutzen und zu verbessern. Wir machten Angebote für unterschiedliche Workshops, Museumsbesuche, gemeinsames Kochen und Essen in der Akademie.
Uns war wichtig, dass Inhalte, Motive und Gestaltung des prozessorientierten Kunst- und Begegnungsprojektes nicht erzwungen werden. Obwohl es Zeit in Anspruch nimmt, wird alles demokratisch entschieden. Wir verwenden hierfür immer neue und bunte Systeme, so dass der Entscheidungsprozess immer interessant und überraschend bleibt. Dabei lernen wir uns als Individuen besser kennen und gleichzeitig gestalten wir das Programm gemeinsam als eine Gruppe. So wurde »Dialog« als Ausstellungsthematik bevorzugt und die Bedenken vom ersten Treffen konnten ausgeräumt werden.
»Demokratie ist Scheiße«, sagte ein junger Syrer, nachdem der Titel der Ausstellung demokratisch festgelegt worden war. Ich konnte ihn da durchaus nachvollziehen. Auch ich hatte einen anderen Titel bevorzugt und mir auch schon die Frage gestellt, wie Demokratie und individuelle künstlerische Ansprüche miteinander in Einklang zu bringen sind. Inwiefern kann ich als künstlerische Leiterin der Gruppe und der Ausstellung beeinflussen, was gezeigt wird? Steht die Ausstellung im Vordergrund oder der Prozess und die Begegnung? Wenn ich nicht diejenige bin, die entscheidet, wer ausstellen darf oder welche Arbeit, welches Thema oder welcher Titel gewählt wird, was ist dann meine Rolle? Wie frei bin ich, meine eigenen Ideen zu verwirklichen? Wie frei sind die einzelnen Künstler*innen ihre Ideen zu realisieren? Wie bekommen Individualität und Heterogenität ihren Raum in unserem »blauen Raum«?
Der Titel birgt in sich einen physischen sowie einen mentalen Raum. Zum einen ist der Raum, in dem sich die Ausstellung befinden wird und in dem wir uns wöchentlich treffen, in der Tat blau bemalt. So rückt der Titel den Prozess der Begegnung ins Blickfeld. In diesem Raum können die Teilnehmer*innen individuell ihre künstlerischen Arbeiten entwickeln. Der blaue Raum ist also auch als Ort des Rückzugs – als Zufluchtsort – zu verstehen. Der Titel kann als abstrakter und ungewisser Raum gedeutet werden, in den sich Menschen orientierungslos begeben. Die Teilnehmer*innen sowie Besucher*innen werden als Nomaden gesehen; sie sind unterwegs und noch nicht angekommen. Sie lassen viel hinter sich: Erinnerungen, Familien und Freunde, und tragen Gedanken und Gefühle mit sich, die ihnen Halt geben in den Zeiten, in denen sie in diesem »blauen Raum« schweben, ohne zu wissen, wo sie ihr (Lebens-)Weg hinführen wird.
Natürlich gibt es auch unterschiedliche Assoziationen zu der Farbe Blau: von Picassos blauer Periode zum Blue Room im Weißen Haus, von Preußischblau bis Indigo, bis hin zu der bayerischen, der griechischen und der israelischen Fahne. So vielseitig sollte die Gruppenausstellung auch sein! Der blaue Raum spielt darüber hinaus mit dem Konzept des »White Cube« – Kunst in weißen Räumen zu präsentieren, um eine Interaktion zwischen Architektur (Kontext) und Kunstwerk zu vermeiden. Unser blauer Raum, in dem die Ausstellung Der Blaue Raum stattfinden wird, ist für uns dagegen kein neutraler Raum.
Sicherlich liegen bis Juli noch viele weitere Aushandlungsprozesse künstlerischer und gruppendynamischer Art vor uns. Eine Gruppenausstellung mit so vielen unterschiedlichen Künstler*innen, die Kunst so unterschiedlich verstehen, zu organisieren, bleibt in jedem Fall wahnsinnig spannend.
Atalya Laufer ist Künstlerin und arbeitet seit 2014 als Guide im Jüdischen Museum Berlin. Mehr über Sie in einem Künstlerinnenporträt auf unserem Blog sowie auf ihrer Website: atalyalaufer.com