Auftakt der Blogserie »Erinnerungen aus dem Leben Walter Frankensteins«
Walter und Leonie Frankenstein durfte ich bereits 2008 in Stockholm kennenlernen. Schon damals war ich nachhaltig von unserer Begegnung und der innigen Partnerschaft der Frankensteins beeindruckt. Nach 66 Jahren Ehe strahlte das Paar noch immer Verliebtheit und einen tief empfundenen Respekt füreinander aus. Der Autor Klaus Hillenbrand, der in Nicht mit uns die Lebensgeschichte der Frankensteins erzählt, bringt diesen Eindruck ganz am Ende seines Buches mit einer Frage an das Paar treffend auf den Punkt: »›Gibt es das: die ideale Liebe?‹ Leonie sieht Walter an. Und Walter Leonie. Und dann kommt wie aus einem Mund die kürzestmögliche Antwort: ›Ja!‹«
Bei unserem ersten Treffen schenkten Walter und Leonie Frankenstein dem Museum erste Fotoalben und Dokumente. Auch nach Leonies Tod im Mai 2009 suchte Walter das Gespräch und übergab weitere Erinnerungsstücke, sodass sich heute der gesamte Vorlass in der Sammlung des Jüdischen Museums befindet – bestehend aus mehr als 1.100 Fotografien, Dokumenten und Objekten. Gerade im fotografischen Kontext ist diese Sammlung herausragend, da sie das gesamte Leben Walter Frankensteins und die sich darin widerspiegelnden geschichtlichen Ereignisse visuell abbildet: Walter, geboren 1924, wächst in Flatow auf. Aufgrund der antisemitischen Anfeindungen kommt er 1936 ins Auerbach’sche Waisenhaus nach Berlin und lernt dort Leonie kennen. Es folgen eine Lehre und Zwangsarbeit. 1942 heiraten Leonie und Walter. Ein Jahr später entscheiden sich beide, in die Illegalität zu gehen. 1943 und 1944 kommen ihre zwei Söhne zur Welt. Alle überleben die Zeit des Nationalsozialismus. Bereits im November 1945 gelingt es Leonie, mit den zwei Söhnen nach Palästina auszuwandern. Walter wird nach seiner Arbeit im DP-Lager Greifenberg, beim Versuch ebenfalls nach Palästina zu emigrieren, auf Zypern interniert. Im Spätsommer 1947 kommt er frei und die Familie findet endlich zusammen. 1956 ziehen sie weiter nach Stockholm. Dort wohnt Walter Frankenstein bis heute.
In einer sechsteiligen Blogserie, die durch diesen Text ihren Auftakt findet, werden die unterschiedlichen Lebensstationen Walter Frankensteins anhand von ausgewählten Fotografien in den Blick genommen. Gleichzeitig veröffentlichen wir zahlreiche Abbildungen in unseren Online-Sammlungen.
Dies alles erforderte eine intensive Vorarbeit: Sämtliche Fotografien wurden inventarisiert, wissenschaftlich erschlossen und durch aufwändige Recherchen kontextualisiert. Wichtigste Grundlage für diese zeitintensive Aufarbeitung der Sammlung waren zahlreiche Treffen mit Walter Frankenstein und sein Vertrauen in unsere Arbeit, für das wir ihm herzlich danken möchten. Sein eindrückliches Erinnerungsvermögen lieferte viele Kontextinformationen zu einzelnen Fotografien bis hin zu genauen Namen der Abgebildeten.
Walter Frankenstein hat sich zur Lebensaufgabe gemacht, möglichst vielen Menschen von seinen Erfahrungen zu erzählen. Als Zeitzeuge ist er auch immer wieder Gast im Jüdischen Museum. Bei jeder Veranstaltung ist seine Frau bis heute in Form eines großen gerahmten Fotoporträts mit dabei, das er einleitend für alle gut sichtbar platziert.
Theresia Ziehe, Kuratorin für Fotografie, ist bei ihren Treffen in Stockholm oder Berlin immer wieder fasziniert von der lebensbejahenden Haltung des Zeitzeugen. Sie freut sich auf die erste Folge der Blogserie, in der Anna Rosemann die »Erinnerungen aus dem Leben Walter Frankensteins« mit Text und Bild in Szene setzt.
Wenn Sie tiefer in die Lebensgeschichte von Walter und Leonie eintauchen möchten, empfiehlt sich das Buch Nicht mit uns – Das Leben von Walter und Leonie Frankenstein von Klaus Hillenbrand, das 2008 im Jüdischen Verlag bei Suhrkamp erschienen ist.