Veröffentlicht von am 5. April 2018 0 Kommentare

Neue Heimat Schweden

Sechste und letzte Episode unserer Blogserie »Erinnerungen aus dem Leben Walter Frankensteins«

Auf dem schwarz-weiß Foto ist die Familie in einem Interieur der gemusterten Vorhängen und Zimmerpflanzen zu sehen. Alle vier lachen oder lächeln. Das Bild wirkt bewegt.

Familie Frankenstein in ihrer Wohnung, Bandhagen (bei Stockholm) ca. 1956-1957; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Leonie und Walter Frankenstein

Noch einmal von vorne beginnen. – Wenn ich mir den Werdegang Walter Frankensteins und seiner Familie anschaue, bin ich stets erstaunt, dass sie sich nie entmutigen ließen und immer wieder neue Kraft für die zahlreichen Veränderungen in ihrem Leben fanden. 1956 sollte die letzte große Herausforderung im Leben der vier Frankensteins ihren Anfang nehmen.

Auf dem schwarz-weiß Foto steht Rolf Rothschild steht in der Mitte und hat seine Arme um die beiden Jungen gelegt. Alle tragen Anzug.

Rolf Rothschild mit Peter-Uri und Michael Frankenstein, Stockholm ca. 1956; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Leonie und Walter Frankenstein

Im Juli reiste die Familie von Haifa über Neapel nach Dortmund, wo Leonies Stiefvater Theodor Kranz lebte. Nachdem Walter am 27. Juli in Schweden angekommen war, seine Arbeitserlaubnis erhalten und eine Anstellung auf einer Baustelle in einer U-Bahnstation in Stockholm gefunden hatte, folgten ihm Leonie, Uri und Michael im September. Zunächst wohnten die vier Frankensteins in der Einzimmerwohnung von Walters Freund Rolf Rothschild. Wie Walter hatte Rolf seine Jugend im Auerbach´schen Waisenhaus verbracht und war bereits 1939 nach Schweden emigriert. Später überließ er den Frankensteins seine Zweizimmerwohnung in dem Stockholmer Vorort Bandhagen, die er einige Zeit zuvor bei einer Wohnungsbaugesellschaft beantragt hatte. Am 15. November 1956 bezogen Walter und Leonie mit ihren Söhnen ihr neues Zuhause. Sie sollten dort 53 Jahre ihres Lebens verbringen.

Walter war anfangs weiterhin als Maurer beschäftigt, konnte diese Tätigkeit ab 1965 aus gesundheitlichen Gründen jedoch nicht länger ausüben. Er fing beruflich noch einmal ganz von vorne an. Zunächst holte er sein Abitur nach, an das er ein Studium als Bauingenieur anschloss. Nach seinen 1969 und 1970 erfolgreich bestandenen Examen fand er einen Job als Statiker und Konstrukteur in einer international agierenden Firma, in der er unter anderem am Bau von Atomkraftwerken beteiligt war. Leonie Frankenstein besuchte ab Ende der 1950er Jahre eine Handelsschule und fand schließlich eine Anstellung in der Buchhaltung eines Unternehmens.

Auf dem schwarz-weiß Foto fährt Walter auf Skiern stehend einen kleinen Abhang hinab.

Walter Frankenstein beim Skifahren, Umgebung von Stockholm ca. 1956-1957; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Leonie und Walter Frankenstein

Auf dem schwarz-weiß Foto sitzen die beiden Jungen vor einem Weihnachtsbaum und blicken lachend auf die Gaben, die darunter drapiert sind.

Peter-Uri und Michael Frankenstein unter dem Weihnachtsbaum sitzend, Stockholm ca. 1956-1957; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Leonie und Walter Frankenstein

In Schweden hatten die Frankensteins nun endlich auch die Möglichkeit, ihre Freizeit aktiv zu gestalten. Jeden Sommer fuhren sie zu ihrem Ferienhaus in Sörmland, das ca. 110 km südlich von Stockholm lag. Die Winter verbrachten sie in und um Bandhagen mit sportlichen Aktivitäten. Nicht nur Walter, der sich seit seiner Jugend für Sport begeisterte, auch Leonie und die beiden Söhne genossen Schnee und Eis auf Schlitten, Ski und Schlittschuhen. Im Dezember feierte die Familie in ihrer kleinen Wohnung neben Chanukka auch Weihnachten. Dies war den vier Frankensteins während ihrer Zeit in Israel verwehrt geblieben, da sie dort wegen des Feierns christlicher Feste Diskriminierungen hätten fürchten müssen. Zudem hatte es in Israel schlicht keine Weihnachtsbäume zu kaufen gegeben. Uri und Michael schien es unter den Tannennadeln jedenfalls zu gefallen, wie das Foto von einem ihrer ersten Weihnachtsfeste vermuten lässt.

Auf dem schwarz-weiß Foto sitzt Leonie im Sommerkleid auf der Balkonbrüstung. Walter steht neben ihr, hat den linken Arm um sie gelegt und hält in der rechten Hand eine Zigarette.

Leonie und Walter Frankenstein auf dem Balkon eines Sommerhauses, Elgö Sommer 1957; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Leonie und Walter Frankenstein

Nach seiner Pensionierung 1984 unternahm Walter mit Leonie Reisen ins europäische Ausland und nach Israel. Auch Deutschland und besonders ihre alte Heimat Berlin besuchten die beiden regelmäßig. Walter und Leonie Frankensteins gemeinsame Zeit endete nach 66 Ehejahren am 19. Mai 2009 mit Leonies Tod. Nachdem seine Frau verstorben war, setzte Walter seine Arbeit als Zeitzeuge fort. Für sein Engagement wurde er am 30. Juni 2014 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Den Orden bewahrt er heute gemeinsam mit seinem »Judenstern« in einer Schatulle auf. Beide Symbole sind für ihn untrennbar miteinander verbunden: »Die Nazis haben mich gezeichnet, Deutschland hat mich ausgezeichnet.«

Egal wie oft ich mich mit Walter Frankensteins Biografie auseinandersetze, so bin ich doch jedes Mal von seiner Lebensleistung beeindruckt. Walter persönlich kennengelernt zu haben und ihn bis heute in regelmäßigen Abständen zu treffen, erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit. Sein Werdegang und seine daraus resultierende Philosophie spiegeln sich meiner Meinung nach am besten in dem Satz wider, mit dem Walter, sobald er auf seine jüdische Herkunft angesprochen wird, stets antwortet: »Ich bin der Sohn Deutscher jüdischen Glaubens und selbst bin ich schwedischer Bürger und Atheist.«

Anna Rosemann möchte auch nach dem Ende ihrer Tätigkeit in der Fotografischen Sammlung des Jüdischen Museums Berlin mit Walter Frankenstein in Kontakt bleiben.

Weitere Fotografien aus dem Leben der Familie Frankenstein finden Sie in unseren Online-Sammlungen.

 

Wenn Sie tiefer in Walter und Leonie Frankensteins Biografie eintauchen möchten, empfiehlt sich das Buch Nicht mit uns – Das Leben von Walter und Leonie Frankenstein von Klaus Hillenbrand, das 2008 im Jüdischen Verlag bei Suhrkamp erschienen ist.

 

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