Lyrix zu Gast im Jüdischen Museum
Auf Einladung von Deutschlandradio Kultur sind am 13. Juni 2014 Schülerinnen und Schüler ins Jüdische Museum Berlin gekommen, um mit Profis aus der Literaturszene zum Thema Partnerschaft zu dichten. Als Inspirationsquellen dienten ihnen eine Ketubba (Ehevertrag) aus der aktuellen Wechselausstellung »Die Erschaffung der Welt« und das Gedicht »hochzeit« von Kathrin Schmidt (zu lesen auf der Lyrix-Seite des Deutschlandfunks).
Im Seminarraum lässt der Lyriker Max Czollek die Schülerinnen und Schüler zunächst zu dem Begriff ›Partnerschaft‹ assoziieren. Genannt werden: Ehe, Zuneigung, Vertrauen und Liebe (beide sehr häufig), Treue und Ähnliches. Doch genau die naheliegenden Assoziationen brauchen wir in der Lyrik nicht. Aber was brauchen wir dann?
Ein paar Räume weiter geht die Lyrikerin Nadja Küchenmeister ähnlich vor. Eine Schülerin sagt später, dass ihr die Einteilung in Wörter, welche sie benutzen bzw. nicht benutzen solle, sehr geholfen habe, die Angst beim Schreiben zu nehmen. Sie hat folgendes Gedicht zu Papier gebracht:
Stift
Ein Gedanke,
festgehalten, eingepackt in das Papier.
Ich bleibʼ stehn,
und sinne lange
und Du bleibst hier stehn bei mir.
Das Holz ist warm,
es lebt und atmet
zeigt mir Bilder, Wort für Wort.
Und ich lache, jubel, weine,
folg den Linien, laufe fort.
Wege unter alten Bäumen,
Stimmen, doch ich hör sie nicht,
streife sanft die jungen Zweige,
seh Gesichter in dem Licht.
Wenn ich jetzt die Augen öffne,
liegt der Stift noch in der Hand.
Und sein Holz, es glüht noch leise,
Worte stehen an der Wand.
(Emma, 13 Jahre, Felix-Mendelssohn-Bartholdy Gymnasium)
Zurück bei Max Czollek sehen sich die Schülerinnen und Schüler die Inspirationsquellen für ihre ersten Schreibversuche genauer an. Welche Bilder findet der Illustrator der Ketubba für die Partnerschaft? Von welcher Partnerschaft spricht Kathrin Schmidt in »hochzeit«? In der Tat verwendet sie die Begriffe nicht, an welche sie zunächst bei dem Thema gedacht haben. Außer das Wort ›Liebe‹, dies aber in der Anrede »Liebe Schwester« und nicht im romantischen Sinne. Sie lesen:
»liebe schwester dies ist kein beklemmender brief aus der schule der ohnmacht …«
Aber der Brief kommt den Schülern dennoch sehr beklemmend vor.
In der Werkstatt mit Kathrin Schmidt interpretieren die Teilnehmenden ebenfalls ihr Gedicht »hochzeit«. Ein Schüler meint: »Hochzeit bedeutet Gebundenheit. Diese Gebundenheit bringen Sie in dem Text gut rüber.« Ein anderer widerspricht: »Die Hauptperson ist nicht begeistert von der Hochzeit.« Wir erfahren, dass Kathrin Schmidt zwar verheiratet ist, der Akt ihrer Verheiratung aber etwas Erzwungenes hatte. Sie heiratete 1985 in der DDR aus dem Grund, dass ihr Freund und sie aus kleinen Wohnheimzimmern in eine eigene Wohnung umziehen wollten. Die feministische Lyrikerin, die das Gedicht einst schrieb, ist Kathrin Schmidt heute nicht mehr. Es wird deutlich, dass Gedichte sehr persönlich sind, emotional, bestimmte Erfahrungen und Lebensphasen widerspiegeln, die sich ändern.
Im Seminarraum bei Daniela Seel wird Partnerschaft sehr weit gefasst. Hier geht es sowohl um otto und mops, um den Vokal ›a‹ und um die Partnerschaft von Ernst Jandl und Friederike Mayröcker. Nach der Lektüre des Gedichts »WIE ICH DICH NENNE WENN ICH AN DICH DENKE UND DU NICHT DA BIST« erfinden die Teilnehmenden Wörter für Menschen, die ihnen nahe sind. Ein Ergebnis der Werkstatt:
Für die kleine Birnbaumfee
Du, die Wiesenprinzessin, stehst im Garten
zusammen mit dem Ahornkönig
und wirfst mit Kastanien.
Eine Fahrradsonne, ein Sommertraum,
ein Matschmonster und Geschichtenzauberin.
Vogelretterin sowie Puppenmama.
Zauberst Fröhlichkeit auf mein Gesicht.
Malst wie eine Regenbogenkünstlerin.
Eisblumenkind.
(Clara, 13 Jahre, Felix-Mendelssohn-Bartholdy Gymnasium)
Der Anfang ist gemacht. Nun sind wir gespannt, welche Gedichte in den nächsten Wochen bei Lyrix erscheinen werden.
Diana Dressel und Nina Wilkens, Bildung