Drei Terroristen bedrohen einen Schriftsteller in seinem Wohnzimmer. Sie verlangen von ihm eine Geschichte. Voller Angst schaut sich der Schriftsteller um und setzt an: »Drei Menschen sitzen in einem Raum«. Das finden die Terroristen nicht witzig. Sie wollen Fiktion, keine Fakten. Doch unter Druck zu dichten, ist schwerer als man denkt. »Es ist schwer, eine Geschichte zu erfinden, wenn man in den Lauf einer geladenen Waffe schaut«, erklärt der Schriftsteller.
Die Titelgeschichte aus Etgar Kerets neuem Erzählband gibt das Programm für alle weiteren 34 Geschichten vor, in denen Dichtung als etwas aufscheint, das täglich in uns entsteht: In Träumen und Tagträumen, beim Phantasieren und Spintisieren und wenn wir lügen, uns sorgen, fluchen oder deprimiert sind.
In den Geschichten tauchen moderne jüdische und nicht-jüdische Figuren auf, wie beispielsweise ein russischer armamputierter Immigrant mit einem Glasauge (13), ein marokkanischer Kriegsveteran, der sich als Meinungsforscher seinen Unterhalt verdient (5), ein liebestrunkener amerikanisch-jüdischer Sozialarbeiter, dessen Familie in den USA zurückgeblieben ist (82), der Sohn eines paranoiden Zionisten aus Russland (119), ein chinesischer Akupunturtherapeut, dessen Frau ihm verbietet, samstags zu arbeiten (67), ein deutscher Kameramann, der eine Dokumentation über einen israelischen Schriftsteller dreht (185), und ein bärtiger Schwede unter den oben erwähnten Terroristen.
All diese Figuren brauchen unbedingt Geschichten zum Überleben, allen voran die Terroristen, die für ihren Fix zu töten bereit sind. Es ist Aufgabe des Schriftstellers, als Friedensstifter Gewalt abzuwenden, indem er die erdichtete Ware liefert. Kerets Botschaft ist versöhnlich: Er scheint uns sagen zu wollen, dass wir im Grunde bereits die Geschichten schaffen, die wir benötigen, um unser Leben erträglich zu machen und unserem Land Sicherheit zu bescheren. (Etgar Keret, Suddenly, A Knock on the Door, Farrar, Straus and Giroux 2012; erscheint im August 2012 auf Deutsch im S. Fischer Verlag unter dem Titel Plötzlich klopft es an der Tür)
Naomi Lubrich, Medien