Geschichte lässt sich nicht bannen. Nicht in Messing, nicht in Metall. Sagt zumindest Hadas Tapouchi. Die in Berlin lebende israelische Künstlerin sieht in Monumenten und Inschriften den eigentlichen Sinn des Gedenkens verfehlt. Diese Form der Erinnerung sei unvermeidlich auch eine Flucht ins Vergessen.
Keine Frage: Hadas arbeitet gegen das Vergessen. Als ich sie vor knapp vier Jahren erstmals in ihrer damaligen Tel Aviver Wohnung traf, sprang mir als Erstes ein inszeniertes Selbstporträt der Künstlerin in Häftlingskleidung ins Auge: ein früher Vorläufer ihres Projektes »Die Dritte Generation«. Seitdem sind zahlreiche Porträts entstanden. Bilder gemeinsamer Freunde, ein Bild des Autors selbst, Bilder junger Frauen und Männer aus Berlin, Tel Aviv und Ramallah.
Hadas‘ Anspruch der Erinnerung gegenüber ist bis heute spürbar. In ihrem jüngsten Werk »Transforming« thematisiert sie die NS-Zwangsarbeit im Raum Berlin und Umgebung. Wie auf der projektbegleitenden Website deutlich wird, entlarvt sie damit eine beinahe unheimliche Spannung zwischen An- und Abwesenheit von Geschichte. Mit Gunter Demnigs bekannten Stolpersteinen will sie diese Arbeit jedoch nicht verglichen wissen. »Es geht hier doch nicht um einzelne Steine!«, antwortete sie mir darauf kürzlich in einer gemeinsamen Veranstaltung (in der Berliner Galerie Werkraum Bild & Sinn) in aufbrausendem Englisch, die Arme in die Luft reißend. Worum es ihr wirklich geht, darin liegt wohl der Kern ihres Schaffens: Hadas will nichts weniger als die Art und Weise verändern, wie wir heute und zukünftig auf Geschichte blicken.
In »Die Dritte Generation« legte sie das Fundament für diesen Ansatz. Statt starrem Gedenken stellt sie Gesichter in den Vordergrund. »Die beiden Arbeiten ergänzen sich gegenseitig«, erklärte Hadas noch am selben Abend. Es sei wichtig, sie nicht getrennt zu betrachten. Doch »Die Dritte Generation«, eine Porträtserie jüdischer und arabischer Israelis und junger Deutscher, ist noch lange nicht abgeschlossen. Tapouchi sieht sie als ›work in progress‹.
Den Ausgangspunkt der beiden Projekte bildete Hadas‘ eigene Biografie. Ihre Großmutter, eine polnische Shoah-Überlebende, berichtete kaum von der Kriegszeit. Auf die Mutter der Künstlerin legte sich der Schatten jener Erfahrung wie ein bleierner Teppich. Ihre eigene Rolle als Vertreterin der dritten Generation von Opfern der Shoah wurde der Künstlerin früh bewusst.
Der Gedanke, dass es auch in Deutschland eine dritte Generation geben könnte, Menschen ihres Alters, die auf vergleichbare Weise vom Schweigen über die Vergangenheit betroffen sind, kam ihr erst später. Vor knapp sechs Jahren begann sie, Menschen in Berlin zu porträtieren. »Ich war neugierig, ob Leute dort sich überhaupt als dritte Generation verstehen«, erinnert sie sich. Bis heute hat sie darauf keine eindeutige Antwort. Die Anziehungskraft zwischen Deutschen und Israelis sei aber auch ein Indiz für die Verbindung der beiden Generationen, die man, so Hadas weiter, auch auf jüngere Palästinenser bzw. arabische Israelis ausweiten müsse.
Die abgebildeten Personen erscheinen dem Betrachter merkwürdig vertraut. Es ist jene durch die Bilder vermittelte familiäre Nähe, die es erlaubt, eigentlich konträre Geschichten zu einer fotografischen Collage zu fusionieren. Das verbindende Element zwischen den Personen in Hadas‘ Bilderserie ist der Faktor Sexualität, als queere Sexualität, jenseits der (Hetero-)Norm liegend. Tatsächlich identifizieren sich damit fast alle abgebildeten Personen. »Die Community die ich in ›Die Dritte Generation‹ kreiere, ist auf zentrale Weise von der queer-community beeinflusst.«
Der historische Hintergrund ihres Projekts – die Shoah, beleuchtet aus der Perspektive der Nachkommen von Opfern und Tätern, ebenso wie die Nakba (das arabische Wort für »Katastrophe«, das sich auf die Vertreibungen von Palästinensern während des israelischen Unabhängigkeitskrieges bezieht) – wird durch persönliche Geschichten ergänzt und unterläuft so starre Narrative. »Die veränderte Auflösung der Kamera erlaubt es mir, die Verbindungen zwischen den Personen zu beleuchten statt ihre Gegensätze«, erklärt Tapouchi.
Zweifellos ist das ein streitbares Vorgehen. Wollte man den Status quo heutiger israelischer Gedenkpolitik in zwei Wörtern beschreiben, dann lauteten diese: »Al Tisch’we! (Vergleiche nicht!)«. Damit ist gemeint, dass die Shoah nicht mit anderen historischen Ereignissen verglichen werden soll. »Diese Kritik höre ich dauernd«, beklagt Tapouchi, »dabei ging es mir nie um einen Vergleich!« Ihr Ziel sei es hingegen gewesen zu zeigen, was Israelis, Deutsche und Palästinenser in der dritten Generation gemeinsam haben. Dieser Gedanke aber wirke in Israel bereits radikal. Hier diene, berichtet Hadas nicht ohne einen Funken von Resignation, Erinnerung leider in erster Linie dem Nationalbewusstsein. Der Großteil der Leute denke einfach nicht nach.
Eine Feststellung, die sich in gewissem Maß wohl auch auf Deutschland übertragen ließe. Sicher ist: »Die Dritte Generation« trifft auf hochsensible Fragen: Was heißt Erinnerung knapp siebzig Jahre nach der Shoah? Beinahe siebzig Jahre nach Gründung des Staates Israels und der BRD? Wer erinnert, und aus welcher Motivation heraus? Wie verändert sich Erinnerung über die Zeit? Welche Form der Erinnerung ist erlaubt? Und welche verboten?
Heute ist Hadas gespannt, wie sich »Die Dritte Generation« entwickeln wird. Manchmal fragt sie sich, ob ihr Projekt in zehn, zwanzig Jahren vielleicht lächerlich erscheint, als Klischee. Oder ob es im Gegenteil wegweisend sein könnte für eine neue Form des Gedenkens. Wie die vierte Generation nach der Shoah darauf reagieren wird. Oder die fünfte. Eines aber ist sicher: Staub ansetzen wird die Serie so schnell keinen.
Hanno Hauenstein ist Journalist und Autor und kuratierte die Gruppenausstellung »Hoffnung auf Grenzen / Grenzen der Hoffnung«, in der Hadas Tapouchi ihre Arbeit »Die Dritte Generation« erstmals in Deutschland ausstellte.
P.S.: Hadas Tapouchis Fotos aus der Porträtserie »Die Dritte Generation« sind seit Anfang April im Kunstautomaten in der Dauerausstellung zu erwerben.
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