Veröffentlicht von am 12. Mai 2015 1 Kommentar

Israelis in Berlin: Zwischen Hype und Wirklichkeit

Immer mehr junge Israelis ziehen nach Berlin und tummeln sich zwischen Berghain und Meschugge-Party, Neukölln und Prenzlauer Berg. Für die Medien sind sie ein Dauerthema, das nicht nur durch das fünfzigjährige Bestehen der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel Konjunktur hat. Tatsächlich gibt es nicht wenige junge Menschen, die mit innovativen Ideen und Elan in die deutsche Hauptstadt kommen und sich hier als Start-Up-Gründer, Café-Betreiber, Künstler oder Partyveranstalter versuchen.

color photograph of the skyline of Berlin

Skyline Berlins mit Blick auf das Jüdische Museum Berlin © Michele Nastasi

 

Doch wie sieht die Wirklichkeit aus?
Letztes Jahr lernte ich in einer Berliner Galerie Noga kennen und wir kamen schnell ins Gespräch über Familie, Berlin und Israel. Im September 2010 Jahren waren Noga und ihr Ehemann Zeevi nach Berlin gezogen, mit zwei Koffern in den Händen – nicht um hier das Partyleben auszukosten, sondern um zu bleiben. Ich treffe beide, um mit ihnen über ihr Leben in Berlin zu sprechen.

Jihan Radjai: Warum habt ihr euch dafür entschieden, nach Berlin zu ziehen?

Farbfotografie eines jungen Paares in Winterkleidung auf einer schneebedeckten Straße spazierend

Noga und Zeevi und ihr erster Winter in Berlin © Noga Shtainer

Noga: Ich war damals die antreibende Kraft. Als Fotografin wollte ich mich weiterentwickeln und in Europa Erfahrungen sammeln. Berlin war für mich die beste Wahl, da hier die Kunstszene genau das zu bieten hat, was ich suchte.
Zeevi: Damals war ich dreißig und als Gastronom kann ich überall arbeiten. Wir reisten nach Berlin und nach sieben Tagen war uns beiden klar: Israel bleibt unsere Heimat, aber in Berlin wollen wir leben. Ein halbes Jahr später verwirklichten wir unseren Traum. Das ist jetzt fast 5 Jahre her.

Wie haben eure Familie und eure Freunde auf eure Entscheidung reagiert?

Zeevi: Sie waren geschockt, dass wir uns ausgerechnet für Deutschland entschieden haben.
Noga: Der Gedanke, dass wir nach Berlin gehen, war für unsere Eltern am Anfang sehr schwer zu ertragen – unter anderem auch, weil meine Großmutter in Auschwitz war. Unser Umzug löste auch bei uns Fragen aus, die wir erst jetzt imstande sind zu stellen. Meinen Eltern war es untersagt ihre Eltern nach der Vergangenheit zu fragen, und meine Großeltern schwiegen; Erst nach und nach können wir, die Kinder der dritten Generation, nun mit unseren Eltern und Großeltern über den Holocaust reden.

Eure erste Wohnung lag in Neukölln, ein Stadtteil Berlins, der erst vor einem Jahr als No-Go-Gegend für Juden bezeichnet wurde. Wie war euer Start in Berlin?

Zeevi: Neukölln war reiner Zufall, wir waren froh, eine Wohnung zu finden. Der Stadtteil erinnert uns an Jaffo, wo Juden, Christen und Muslime als Nachbarn zusammenleben und wo wir vorher in Israel gewohnt haben. Der Start in Berlin war sehr hart. Denn auch wenn es viele Informationen im Internet, Foren oder Facebook-Gruppen gibt, waren wir dennoch fremd.
Noga: Unsere Abmachung war: Wir halten ein Jahr durch, finden eine Wohnung, einen Job und entscheiden dann, ob wir bleiben oder zurückkehren. Wir überwanden unsere Existenzängste und Zweifel, nahmen Minijobs jeglicher Art an und haben durchgehalten.

Seit einigen Jahren erscheinen regelmäßig Berichte über Israelis in Berlin. Das Foto eines Schokopuddings mit Kassenbon warb für die im Vergleich zu Tel Aviv niedrigen Lebenshaltungskosten in Berlin und wurde als Aufruf zur Auswanderung nach Deutschland in zahlreichen Medienberichten diskutiert. Wie ist Eure Meinung zum Hype um die »Israelis in Berlin«?

Farbfotografie eines jungen Paares, lachend und sich umarmend

Noga und Zeevi bei einer Ausstellungseröffnung mit Nogas Fotografien © Noga Shtainer

 

Zeevi: Der Hype scheint mir größer zu sein, als die tatsächliche Zahl an Israelis in Berlin. Nicht die Zahl ist die Ursache, sondern der Umstand, dass Israelis nach Berlin kommen.
Noga: Viele kommen nur für wenige Monate und diejenigen, die denken, hier sei alles billiger, kehren bald wieder zurück. Ein billiger Schoko-Pudding sagt nichts über die übrigen Kosten wie Krankenversicherung, Miete und Strom aus. Das scheint vielen Israelis nicht klar zu sein.

Fühlt Ihr Euch mittlerweile zu Hause in Berlin?

Zeevi: Ich fühle mich zu Hause – definitiv. Jedes Mal, wenn wir in Israel sind, wundere ich mich über bestimmte Verhaltensweisen und fühle mich weniger mit der Umgebung verbunden.
Noga: Das Gefühl der Fremde bleibt für mich. Meine Familie und meine Kunstprojekte geben mir Sicherheit, vor allem wenn wir von einem Israel-Besuch zurückkehren.

Eure dreijährige Tochter Zohar ist in Berlin geboren und besucht eine deutsche Kindertagesstätte. Spielt eine jüdische Erziehung für euch eine Rolle und wie erlebt Zohar ihren Alltag?

Farbfotografie mit wehenden Flaggen der EU, Israels und Deutschlands an der Siegessäule in Berlin

Die Flagge Europas, Israels und Deutschlands wehen in diesen Tagen an der Siegessäule in Berlin © Daniel Bründl

Zeevi: In der Kita wurde sogar danach gefragt, ob Zohar Fleisch essen dürfe, weil sie kein koscheres Essen anbieten. Wir erleben es häufig, dass Rücksicht genommen wird und werden oft gefragt, ob diese oder jene Zutaten für uns in Ordnung sind. Ich finde das sehr feinfühlig.
Noga: Hier in Berlin ist es uns wichtig geworden, Zohar einen jüdisch-kulturellen Hintergrund zu vermitteln. Jeden Freitag gehen wir zu einem Kindergottesdienst in die Synagoge, um Schabbat zu feiern. Für uns bedeutet das auch, Kontakt zu anderen Israelis zu haben, die wie wir eher einen kulturellen als religiösen Bezug zum Judentum haben.
Zeevi: Würden wir nicht die jüdischen Feste mit Zohar feiern, wäre jeder Tag wie der andere. Zohar würde einen gewöhnlichen Wochentag nicht von einem Festtag unterscheiden, das fänden wir sehr schade. Allerdings wird sie es sein, die mit ihrer Identität vor neuen Herausforderungen steht. Zohar gehört zur zweiten Generation israelischer Immigranten in Deutschland. Unsere Eltern standen in Israel einst vor denselben Fragen. Vor kurzem kam Zohar mit einem neuen Wort nach Hause und strahlte über beide Wangen: »Ich bin multikulti!« – wir hoffen, sie behält sich dieses glückliche Gefühl.

Das Gespräch mit Noga und Zeevi führte Jihan Radjai, die sich mittlerweile mit den beiden angefreundet hat.

Veröffentlicht unter Biografie, Geschichte
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Kommentiert von Micha Goldmann-Miesliner am 18. Mai 2015, 18:43 Uhr

Interessantes Interview-Gespräch aber sehr einseitig und oberflächlich oder sind die jungen Israelis so engstirnig geworden?

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