– ein Gespräch über die Ausstellung »Gehorsam«
Die Ausstellung »Gehorsam. Eine Installation in 15 Räumen von Saskia Boddeke & Peter Greenaway«, die gerade um zwei Monate verlängert wurde, ruft sehr unterschiedliche Reaktionen bei unseren Besucherinnen und Besuchern hervor. Atalya Laufer und Marc Wrasse führen als Guides regelmäßig durch die Ausstellung. Sie erzählten mir nun, welche Erfahrungen sie dabei machen, wie sie die Ausstellung sehen und worauf sie die verschiedenen Reaktionen zurückführen.
Mirjam Wenzel: Wie gestaltet ihr eure Führungen durch die Ausstellung?
Marc Wrasse: Unsere Führungen sind eigentlich Begleitungen in drei Teilen: Wir begrüßen die Gruppe und führen ein einleitendes Gespräch, in dem wir darauf hinweisen, dass das Museum diese Ausstellung von zwei Künstlern hat erarbeiten lassen. Dann lesen wir gemeinsam den biblischen Text, auf den die Ausstellung reagiert – und zwar in der Übersetzung von Moses Mendelssohn –, bevor wir die Gruppe der Ausstellung überlassen.
Atalya Laufer: Ich nehme lieber die Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig.
Marc: Aber du liest den Text auch in verteilten Rollen, oder? Dadurch machen wir von vornherein deutlich, dass wir die Ausstellung mit den Besuchern entdecken und erleben wollen. Der zweite Teil unserer Begleitungen besteht dann darin, dass wir an zwei oder drei Orten in der Ausstellung noch einmal kurze Hintergrundinformationen geben. Im Anschluss an den Ausstellungsbesuch findet schließlich ein etwa 20-minütiges Gespräch statt, bei dem wir über Eindrücke und Wirkungen der Ausstellung sprechen.
Mirjam: Wie habt ihr euch denn auf diese Art der Ausstellungsbegleitung vorbereitet?
Atalya: Wir haben uns schon ziemlich früh als Gruppe über das Thema verständigt, da erst relativ spät klar war, wie die ganze Ausstellung aussehen wird. Uns wurden dazu von Seiten der Bildungsabteilung viele Texte zur Verfügung gestellt.
Marc: Ein Reader mit Texten, der die Tradition der biblischen Geschichte in Judentum, Christentum und Islam beleuchtet – bis hin zu ihrer Bedeutung im zeitgenössischen Israel.
Atalya: Es gab auch feministische Auslegungen.
Marc: Und dann gab es noch einen Abend, an dem wir uns gemeinsam Greenaway-Filme angesehen haben. Wir haben uns also auch als Gruppe vorbereitet und nicht nur einzeln. Schließlich fanden zwei Gespräche mit den Künstlern statt und eine Führung durch die Ausstellung.
Mirjam: Liebe Atalya, du bist ja selbst auch Künstlerin, die wir in dieser Rolle schon für unseren Blog interviewt haben. Wie ist das für dich, durch eine Kunstausstellung zu führen?
Atalya: Natürlich kommt die Frage auf: Wie hätte ich das gemacht? In dieser Ausstellung muss man ganz klar unterscheiden zwischen der künstlerischen Arbeit von Saskia Boddeke und Peter Greenaway, den Manipulationen, die sie zum Beispiel in Form von Videomappings an anderen Kunstwerken vornehmen, den Arbeiten anderer Künstler, den Originalobjekten und den Reproduktionen, die häufig direkt neben den Originalen platziert wurden und alles so gleichwertig erscheinen lassen. Dieser Aspekt der Gleichwertigkeit, das Verhältnis von Original und Kopie ist etwas, das mich auch in meiner eigenen künstlerischen Arbeit interessiert. Als Guide stelle ich mir immer wieder die Frage, worüber ich mit den Besuchern eigentlich sprechen soll – über das Gemälde von Caravaggio oder das Videomapping von Boddeke und Greenaway?
Mirjam: Lieber Marc, du bist Philosoph – das hat bekanntlich mit Denken zu tun. Saskia Boddeke und Peter Greenaway hingegen wollen, dass die Besucher nicht denken, sondern in erster Linie fühlen. Wie ist das mit deinem Zugang zur Welt vereinbar?
Marc: Also ich erlebe diesen Ansatz als eine Öffnung und als eine Chance. Weil das Wissen in unserer Gesellschaft ja eigentlich als souveränes Wissen auftritt und ich es sinnvoll finde, die Souveränität angesichts dieser Geschichte und ihrer Wirkung zu zersetzen. Sowohl in der religiösen Tradition als auch für uns, die wir diese Geschichte hören, gibt es keine Sicherheit, wie diese Geschichte zu verstehen ist. Insofern erlebe ich es als großen Gewinn, dass eine gediegene Institution wie das Jüdische Museum Berlin sich diesem Thema nicht auf Basis eines gewissen Wissens und in Form einer kulturhistorischen Ausstellung widmet, sondern eine dramatische Inszenierung riskiert, die das Gefühl anspricht.
Mirjam: Lassen sich denn tatsächlich alle Besucherinnen und Besucher – also auch diejenigen, die dezidiert säkular sind und der biblischen Erzählung in mehrfacher Hinsicht ablehnend gegenüberstehen – auf diese Inszenierung ein?
Marc: Das Publikum teilt sich: Die Reaktionen von Besuchern aus jüdischen, christlichen und muslimischen Familien, für die diese Geschichte selbstverständlicher Teil ihrer kulturellen Sozialisation ist, unterscheiden sich deutlich von denen der Säkularen, denen die Bibel ganz fremd ist. Wir haben in Berlin ja erfreulicherweise relativ viele muslimische Jugendliche, die das Museum mit ihren Schulklassen besuchen. Meiner Erfahrung nach lassen sie sich zum Beispiel sehr stark auf die Ausstellung ein und bemühen sich im Gespräch danach häufig darum, ihren Klassenkameraden diese Geschichte zu erklären. Und dabei greifen sie häufig auf die Präsenz der Abrahams-Geschichte in der eigenen familiären Tradition zurück. Das ist eine sehr schöne Erfahrung – nicht zuletzt, weil es immer auch Jugendliche gibt, für die die Geschichte völlig rätselhaft und der Kontext unverständlich ist.
Atalya: Aber es ist auch schön, dass Besucher, die die biblische Geschichte gut kennen, in der Ausstellung dennoch etwas Neues finden. Dass sie – obwohl sie die Geschichte gut kennen – dennoch bereit sind, sie Raum für Raum nachzuvollziehen. Dass sie die Erfahrung machen können: Es ist nicht so, wie man erwartet.
Mirjam: Was waren besondere Begegnungen mit oder überraschende Reaktionen von Besuchern, die euch im Nachhinein beschäftigt haben?
Atalya: Ich habe einmal eine sehr interessante Erfahrung mit Kindern gemacht. Ich wusste zuerst nicht, wie ich sie durch die Ausstellung führen soll, und dann standen wir in dem weißen »Gott und Engel«-Raum und ich fragte sie: »Na, wie fühlt ihr euch hier?« Da kam keine wirkliche Reaktion, also fragte ich: »Stellt euch vor, alles ist rot – wie wäre das?« Und auf einmal kamen die Reaktionen. In dem letzten großen Raum mit den Projektionen, habe ich sie dann gebeten, sich erst einmal die Wand mit den Messern anzugucken. Da gibt es zum Beispiel einen Kartoffelschäler. Und ich habe sie gefragt: »Welche Instrumente kennt ihr aus den Illustrationen, die wir uns schon angesehen haben?« Und mit solchen Fragen ist es mir tatsächlich gelungen, ihre Aufmerksamkeit nicht auf die großen Videoprojektionen zu lenken, auf denen Bilder zu sehen sind, die von Kindern handeln, die Gewalt und Krieg ausgesetzt sind. ›Meine Kinder‹ haben den Raum dennoch als einen eindrucksvollen Ausstellungsraum wahrgenommen – auch ohne die Videos.
Marc: Mich hat es sehr berührt, als ich einmal in der Ausstellung einen muslimischen Vater gesehen habe, der mit seinem 12-jährigen Sohn dort durchgegangen ist und ihm die Geschichte erklärt hat. Dass die beiden in das Jüdische Museum kommen, um sich diese Ausstellung zusammen anzusehen, das fand ich sehr schön.
Mirjam: Ich danke euch für das Gespräch!