Die Künstlerin Andi Arnovitz stellt das traditionelle Eherecht in Frage
In unserer aktuellen Ausstellung Cherchez la femme hängt ein transparentes Kleid, das alles preiszugeben scheint. Aus Japanpapier, Haar, Buchstaben und Schmutzpartikeln hat die israelisch-amerikanische Künstlerin Andi LaVine Arnovitz ein zartes Kunstwerk geschaffen. Locken schmücken das Kleid aus Papier und deuten die Schönheit seiner Trägerin an. Doch wie sind andere Bestandteile zu verstehen: Schmutz und krauses Körperhaar?
Den Schlüssel zum Verständnis liefern die vereinzelt applizierten Buchstaben. Sie führen zu dem biblischen Ritual, welches in der Tora, Numeri 5: 11 – 31 beschrieben wird, und auf das diese Arbeit sich bezieht: Ein eifersüchtiger Ehemann konnte einen öffentlichen Prozess in Gang setzen, wenn er gegenüber seiner Frau einen begründeten Verdacht auf Ehebruch hegte. Ließ sich sein Verdacht weder zerstreuen noch erhärten, dann führte schließlich ein Priester ein öffentliches Gottesurteil herbei, welches die Frage nach Schuld oder Unschuld der Ehefrau abschließend beantwortete.
Die einzelnen Schritte, mit denen Rabbiner mithilfe von Zeugen den Verdacht des Ehemanns sorgfältig überprüften, sind aus der rabbinischen Literatur, der Auslegung der Religionsgesetze, überliefert. Eine Ehefrau konnte dieses Ritual nur umgehen, indem sie einer Scheidung zustimmte und auf ihre im Ehevertrag vereinbarte Entschädigung verzichtete. Als Alternative ermöglichten Rabbiner den beschuldigten Frauen, das Ritual durch sogenannte gute Taten zu umgehen.
Der Priester begann das Ritual, indem er das Haar der verdächtigten Frau öffentlich löste. Mit Wasser spülte er die Tinte der zuvor notierten Beschwörungsformel in ein Gefäß und gab auch noch Schmutz aus der gemeinsamen Wohnung des Paares dazu. Dieses Bitterwasser hatte die Ehefrau zu sich zu nehmen. Bekam sie daraufhin furchtbare Schmerzen, so bestätigten diese ihre Schuld und sie blieb in Zukunft unfruchtbar. Überstand die Frau das Gottesurteil jedoch unbeschadet, so war ihre Unschuld bewiesen.
Zwar ist ungewiss, wie oft dieses Gottesurteil tatsächlich angerufen wurde, doch spiegelt das Ritual die Vorstellungen einer patriarchalischen Gesellschaft über das Verhältnis der Geschlechter zueinander. Arnovitz weist mit dieser Arbeit eindringlich auf die öffentliche Demütigung und den Verlust jeglicher Privatsphäre hin, die Frauen traditionellerweise traf. Das eingearbeitete Kopf- und Körperhaar repräsentiert sichtbare und intime Aspekte von Sinnlichkeit. Buchstaben weisen auf eine halachische Tradition, mit der die von weiblicher Sexualität beunruhigten Rabbiner versuchen, Männer vor weiblichen Anziehungskräften zu schützen. Dabei charakterisiert der in das Kleid eingenähte Schmutz die Stigmatisierung, der Frauen noch immer ausgesetzt sind, wenn sie in den Verdacht der Untreue geraten.
Dieses Ritual ist inzwischen Geschichte, doch misst das halachische Eherecht weiterhin mit zweierlei Maß. Aus den Gesetzen spricht eine traditionelle Frauenfeindlichkeit, die Frauen noch heute in Scheidungsfragen benachteiligt. Frauen bleibt ein selbstbestimmtes Leben verwehrt, stattdessen hält sie ein historisch gewachsenes patriarchalisches Geflecht aus Eifersucht und Zorn gefangen. Emphatisch und kunstvoll zugleich fordert Das Kleid der Ehebrecherin eine zeitgemäße Gleichbehandlung der Geschlechter ein.
Miriam Goldmann, Judaistin und Kuratorin der Ausstellung Cherchez la femme, freut sich an Kunst, die sich auf so geistreiche Weise gesellschaftlichen Fragen widmet.
Wer sich das Kunstwerk genauer anschauen möchte, findet auf unserer Website weitere Informationen zur Ausstellung Cherchez la femme.
Am 9. Mai sprach die Künstlerin bei uns im Museum über Frauen und Sexualität im Judentum, ein Audio-Mitschnitt der Veranstaltung ist auf unserer Website nachzuhören.