Nicht das, was sie erwartet hatten

Fünfte Episode unserer Blogserie »Erinnerungen aus dem Leben Walter Frankensteins«

Schwarz-weiß Fotografie: Leonie sitzt in der Mitte und lächtelt breit. Auf ihrem Schoß sitzt Michael, der sich mit der Zunge über den rechten Mundwinkel fährt. Links steht Peter-Uri mit hellen Locken, ebenfalss breit lächelnd.

Leonie Frankenstein mit ihren Söhnen Peter-Uri und Michael, Chadera 1947; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Leonie und Walter Frankenstein

Endlich wiedervereint nach 19 Monaten! – Wie sehr sich Leonie, Uri und Michael Frankenstein über Walters Freilassung freuten, lässt sich anhand des Fotos von Leonie und ihren beiden Söhnen vom Sommer 1947 ablesen. Gelöst blicken alle drei in die Kamera. Walter zog zunächst in die Einzimmer-Sozialwohnung in Chadera, die Leonie und den Kindern nach ihrer Emigration nach Palästina zugewiesen worden war. Leonie hatte in der Zwischenzeit Hebräisch gelernt und eine Anstellung in einem Schokoladengeschäft gefunden. Durch ihre Arbeit war sie in der Lage gewesen, sich und ihre beiden Söhne in Abwesenheit ihres Mannes zu versorgen.

Auf der schwarz-weiß Fotografie legt Leonie im dunklen Kleid ihre Hände auf die Schultern der links und rechts stehenden und in weißen Shorts und Hemden gekleideten Kinder. Im Hintergrund ist eine Hauswand zu sehen.

Leonie Frankenstein mit ihren Söhnen Peter-Uri und Michael Frankenstein vor ihrem Wohnhaus stehend, Neve Chaim (Chadera) 1951; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Leonie und Walter Frankenstein

Nach ihrer Wiedervereinigung zogen die vier Frankensteins in ein Haus in Neve Haim, einem Stadtteil von Chadera. In ihrem neuen Zuhause gab es keinerlei Elektrizität und die Familie musste sich mithilfe eines Spirituskochers, Petroleumlampen und warmem Wasser aus einem Ofen versorgen. Walter Frankenstein fand durch seine Kontakte zur Haganah, einer zionistisch-paramilitärischen Untergrundorganisation, schnell Arbeit als Fliesenleger und Maurer in Palästina. Für kurze Zeit konnte die Familie einen geregelten Alltag leben.

Auf dem schwarz-weiß Bild hocken die beiden Kinder in einem Garten und streicheln einen Hundewelpen.

Die Brüder Peter-Uri und Michael Frankenstein mit einem Hundewelpen, Chadera 1949; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Leonie und Walter Frankenstein

 

Die Ruhe währte nicht lange. Nur eine Stunde, nachdem am 14. Mai 1948 der Staat Israel seine Unabhängigkeit erklärt hatte, wurde Walter zum Wehrdienst einberufen. Er erhielt die Personalnummer 27.009 (die Zählung begann bei 25.000) – und wurde den Givʿati-Brigaden zugeteilt. Seine Einheit stoppte zunächst den Einmarsch der Ägypter vor Tel Aviv und gewährleistete anschließend die Versorgung des eingeschlossenen Jerusalems. Walter war stolz, Israel dienen zu dürfen und fühlte sich als kleines Rädchen, das die Gründung des Staates mittrug. Er und seine Frau waren Idealisten und so ließ Leonie ihren Ehemann auch ohne Zweifel in den Krieg ziehen, wenngleich dies nicht einfach gewesen sein mag. Zeugnis dafür ist eine Fotografie von Walter Frankensteins Militärurlaub, die im Gegensatz zu dem Foto von Leonie und ihren Söhnen aus dem Jahr davor steht. Auf dem Bild wirken Walter und Leonie angespannt.

Auf dem schwarz-weiß Bild hält Walter Frankenstein seine Frau Leonie im Arm. Er trägt Militäruniform, sie ein Sommerkleid. Sie lächeln nicht. Am Bildrand ist, halbabgeschinittem einer ihrer Söhne zu sehen. Im Hintergrund wächst Buschwerk.

Walter Frankenstein mit seiner Frau Leonie während seines Militärurlaubes, Chadera Sommer 1948; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Leonie und Walter Frankenstein

Grund zur Sorge war durchaus gegeben. Aus Walters Einheit überlebten von 75 Männern lediglich fünf. Walter hatte Glück. Während der schwersten Kämpfe Mitte Juli 1948 lag er mit einer Knieverletzung im Militärhospital. Nach der Unterzeichnung der Waffenstillstandsabkommen im Frühjahr und Sommer 1949 wurde Walter im Herbst 1949 schließlich aus dem Militärdienst entlassen und nahm im Anschluss seine Tätigkeit als Mauer und Fliesenleger wieder auf. 1953 machte Walter sich gemeinsam mit einem Freund selbstständig. Ihre Firma wurde zunächst mit dem Bau eines kalifornischen Bewässerungssystems in verschiedenen Kibbuzim im Jordantal, dann mit der Konstruktion von Entwässerungskanälen für Salzbecken am Toten Meer beauftragt.

Schwarz-weiß Fotografie

Familie Frankenstein während ihres letzten Sommers in Israel, Neve Chaim (Chadera) Sommer 1956; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Leonie und Walter Frankenstein

Die hohen Temperaturen und die schwere Arbeit setzten Walter Frankenstein körperlich stark zu. Angesichts seiner gesundheitlichen Schäden und der unkomfortablen Lebenssituation für seine Familie, die nach elf Jahren immer noch ohne Elektrizität leben musste, wurde ihm »alles zu viel«, wie er heute sagt. Die Familie entschloss sich, nach Schweden zu emigrieren, wo Walters Freund Rolf Rothschild lebte. Somit nahmen die vier Frankensteins im Sommer 1956 Abschied von Israel und wagten ein letztes Mal einen Neuanfang.

 

 

Für Anna Rosemann werden durch Walter Frankensteins Erzählungen die damaligen Lebensumstände und Ereignisse greifbarer.

Weitere Fotografien aus dem Leben der Familie Frankenstein finden Sie in unseren Online-Sammlungen.

Wenn Sie tiefer in Walter und Leonie Frankensteins Biografie eintauchen möchten, empfiehlt sich das Buch Nicht mit uns – Das Leben von Walter und Leonie Frankenstein von Klaus Hillenbrand, das 2008 im Jüdischen Verlag bei Suhrkamp erschienen ist.

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