Veröffentlicht von am 19. April 2013 5 Kommentare

Von Wagner bis zum Wetter

Meine zwei Stunden als lebendiges Ausstellungsstück in der Ausstellung »Die ganze Wahrheit«

Das war eine wahrlich außergewöhnliche Erfahrung. Die besten Momente waren die, als die Besucher nicht nur mit mir in der Vitrine, sondern untereinander zu reden anfingen. Diese Gespräch führten dann von Wagner bis zum Wetter und kreisten nicht ›nur‹ darum, wie es sich anfühlt, in Deutschland jüdisch – in meinem Fall als Tochter einer amerikanischen Jüdin und eines deutschen, ehemals evangelischen Vaters – aufgewachsen zu sein, und ob es nicht merkwürdig ist, in so einer Glasvitrine zu sitzen.

Eine Frau sitzt auf einer Bank in einem vorne offenen Glaskasten

Signe Rossbach in der Ausstellung »Die ganze Wahrheit«, 8. April 2013
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Michal Friedlander

Ich musste plötzlich an meinen Abschied aus New York denken, als ich 1998 nach Deutschland zurückkehrte (obwohl ich mir das damals nicht so eingestehen wollte). Mein Chef, ein deutscher Verleger in New York, war gerade vom neugewählten Kanzler zum ersten deutschen Staatsminister für Kultur ernannt worden, und er hatte mir angeboten, im Kanzleramt weiter für ihn zu arbeiten, erst in Bonn, dann in Berlin. Beim Abschiedsumtrunk im Verlag, also, grinste ein Lektor: »Na, in der deutschen Regierung zu arbeiten, das ist ja der perfekte Job für eine brave kleine Jüdin!« Ich dachte darüber nach und sagte: »Genau.«

So kam ich dann auf Umwegen ins Jüdische Museum Berlin, wo ich seit zwölf Jahren arbeite, und – an einem scheinbar ruhigen Montagmittag – letztendlich auch in diese Vitrine. In meinen zwei Stunden als lebendiges Ausstellungsstück ….  weiterlesen


Veröffentlicht von am 24. Dezember 2012

Zitronen-Mandel-Kuchen

ZitroneDie Akademie des Jüdischen Museums Berlin wurde im November 2012 im Sinne von Moses Maimonides, Gelehrter des 12. Jahrhunderts, und seiner Maxime »Höre die Wahrheit, wer immer sie spricht« eingeweiht. Während Besucher und Gäste dieses Zitat deuteten, servierten wir einen mallorquinischen Zitronen-Mandel-Kuchen, dessen Rezept sich ins Mittelalter zurückverfolgen läßt. Der Kuchen ist ein Beispiel der damaligen jüdischen Patisserie, für die Maimonides bekanntlich eine Vorliebe gehabt haben soll.  weiterlesen

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Veröffentlicht von am 8. August 2012

R.B. Kitaj, Philip Roth und ich…

Nackte Frau auf einem Drehstuhl

The Ohio Gang, 1964 © R.B. Kitaj Estate 2012. Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence

Die Vorbereitungen der Ausstellung »R.B. Kitaj (1932–2007) Obsessionen« im Jüdischen Museum haben mich zu Philip Roth zurückgebracht. Ich versuche ungefähr alle 10 Jahre mal wieder, ihn zu lesen – warum? Aus Neugier; um meine feministische, oder besser schlicht: weibliche Unlust an Roth zu prüfen; um zu sehen, ob vielleicht mit zunehmender Reife ein Erkenntnisprozess einsetzt, der mich dem alternden, sex-besessenen, weißen, männlichen Ego der Roth-Helden mit Empathie begegnen lässt; oder um endlich zu entdecken, warum genau Roth der Meister der US-amerikanischen Literatur ist, der er unbestritten ist. Es heißt, der lüsterne Puppenspieler Mickey Sabbath aus »Sabbath’s Theater« ist dem Nachbarn und Freund des Autors, R.B. Kitaj, nachempfunden, aber auch andere Figuren Roths tragen Züge oder teilen biografische Stationen des Künstlers. Fazit: Ich kann nicht behaupten, dass mir die Figuren von Philip Roth sympathischer geworden sind, aber ich merke, sie sind in einer gewissen Weise »historisch« geworden, ein Abbild ihrer Zeit, und ein bisschen ist es so, wie man sich an den grabschenden Chauvis von Mad Men erfreut, ohne sich unbedingt in die Zeit der übersexten Sekretärinnen und verhuschten Hausfrauen zurückzusehnen. Auf jeden Fall ist die projizierte Figur des Künstlers R.B. Kitaj in meiner Vorstellungskraft plastischer, dreidimensionaler geworden – und ich bin umso mehr gespannt darauf, den »echten« Kitaj ab September in den Gemälden im Jüdischen Museum kennenzulernen!

Mehr zu R.B. Kitaj finden Sie unter: www.jmberlin.de/kitaj

Signe Rossbach, Veranstaltungskuratorin