– Die Reichstagswahl von 1930
Heinz Arzt beim Zeitunglesen, 1920; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Hilde Pearton, geb. Bialostotzky
Kürzlich ging ich ein Findbuch zu einer Familiensammlung durch, die bereits seit vielen Jahren hier im Archiv ist. Ich wollte das Verzeichnis entsprechend des heutigen Standards überarbeiten. Die Sammlung umfasst Dokumente, Fotografien und Objekte zu den Familien Arzt und Bialostotzky. In dem 23-seitigen Findbuch war bei dem Berliner Likörfabrikanten Heinz Arzt (1866–1931) in der Kategorie »Korrespondenz« ein Brief einsortiert, zu dem aber weder Absender*in noch Adressat*in angegeben, geschweige denn der Inhalt des Briefes benannt war. Die äußerst knappe Information lautete: »Brief: handschriftlich, 14.09.1930.«
Ich ging also in das Archivdepot und holte das Dokument mit der Signatur 2001/219/28 aus dem Karton 451 heraus, um die Angaben zu vervollständigen. Plötzlich hielt ich ein spannendes Stück Zeitgeschichte in Händen. → weiterlesen
Wie jüdische Erinnerungsstücke chinesische Geschichte bewahren
Chinesische Heiratsurkunde für Irma Bielschowsky (1902–2000) und Albert Elias Less (1887–1952) von 1944; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Gert und Brigitte Stroetzel
Vor einer Weile teilte ich in diesem Blog meine Gedanken zu einigen Objekten aus Schanghai in der Sammlung des Jüdischen Museums Berlin. Nun möchte ich Sie noch auf drei Heiratsurkunden aufmerksam machen, die mir nicht nur wegen ihrer eleganten Ausführung ins Auge sprangen – und weil sie nach über 70 Jahren so gut erhalten sind –, sondern auch, weil es mich erstaunte zu sehen, wie Elemente der chinesischen Kultur in das Leben von Jüdinnen*Juden, die vor dem Nationalsozialismus geflohen waren, Einzug gehalten hatten; und das, obwohl sie in Schanghai weitgehend ihre eigenen kulturellen und pädagogischen Aktivitäten aufrecht erhielten, mit Zeitungen, jüdischen Schulen, Konzerten, Sportveranstaltungen, Theateraufführungen (z. B. Delila und Nathan der Weise) und Festen (z. B. eine nicht ganz nüchterne Purim-Feier).
Im heutigen China ist ein Trauschein ein Stück Papier, so groß wie ein Ausweis, mit einem schmucklosen Text, Schwarz auf Weiß. → weiterlesen
Die italienische Autorin Elena Loewenthal erzählt von starken jüdischen Frauen in der Tora
Noch bis zum 27. August ist die aktuelle Ausstellung Cherchez la femme zu sehen, die sich aus weiblicher Perspektive mit religiösen Kleidungsvorschriften für Frauen auseinandersetzt (mehr zur Ausstellung auf unserer Website). Als ich vom Thema der Ausstellung erfuhr, fiel mir gleich der Roman Attese (2004) der italienischen Autorin Elena Loewenthal ein. (Der Buchtitel kann auf Deutsch sowohl »Erwartungen« als auch »Wartezeiten« bedeuten). Der Roman erzählt in vier großen Kapiteln die Geschichte verschiedener jüdischer Frauenfiguren. Eigentliche Hauptfigur des Romans ist jedoch ein geheimnisvoller Schleier, der die Protagonistinnen von biblischen Zeiten bis ins heutige Venedig hindurch begleitet.
Schleier in der Ausstellung Cherchez la femme; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Mirjam Bitter
Der Schleier kann als Metapher für ein von Frauen bewahrtes und weitergegebenes jüdisches Gedächtnis gelesen werden, das Erinnern und Vergessen, Tradition und Erneuerung miteinander verbindet. Denn jede der Frauenfiguren im Roman legt den Schleier nicht nur aus kulturellen Gründen etwa für Trauerzeiten an, sondern gestaltet ihn auch selbst um, näht eigene Fäden ins Gewebe, oder pflegt zumindest einen sehr eigenwilligen Umgang mit dem geerbten Kleidungsstück. → weiterlesen