Veröffentlicht von am 24. März 2016 2 Kommentare

»… den Mantel der Anonymität zu lüften«

Ein verfrühter Aprilscherz aus dem Jahr 1931

Briefumschlag aus dem Jahr 1931 mit der Aufschrift "Fun correspondence (re marriage) between Hilde, aged 18, & Großmutter Stahl"

Briefumschlag vom 13. März 1931; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Margaret Littmann und Susan Wolkowicz, den Töchtern von Hilde Gabriel, geb. Salomonis

Die richtige Einordnung eines Dokuments in seinen historischen Kontext kann manchmal von einer klitzekleinen Zusatzinformation abhängen. Das wurde mir erst neulich wieder beim Inventarisieren einer kürzlich gestifteten Familiensammlung bewusst: Die Sammlung der Familien Gabriel/Salomonis mit mehr als 3.000 Dokumenten, Fotografien und Objekten enthält unter anderem eine umfangreiche Korrespondenz mit Hunderten von Briefen, Postkarten und Telegrammen. Beim Sortieren stieß ich auf einen kleinen Briefwechsel aus dem März 1931, bestehend aus vier Briefen: Zwei sind handschriftlich geschrieben und wurden von der damals 72-jährigen Berlinerin Ernestine Stahl (1858–1933) verfasst, die – gut leserlich – mit ihrem Namen unterschrieb. Der Verfasser der beiden anderen, maschinengetippten Briefe war mir hingegen zunächst unklar, nicht zuletzt weil seine Unterschrift fehlte. Ernestine Stahl spricht ihn in ihren Antwortschreiben als »mein Herr« und »sehr geehrter Herr« an.

Lösen konnte ich dieses kleine Rätsel erst mit Hilfe eines Briefumschlags, der an anderer Stelle des Konvoluts auftauchte und sich dem Briefwechsel zuordnen lässt.  weiterlesen


Ein Hammerschlag vor 75 Jahren

Die Anzeige eines Auktionshauses als letztes Lebenszeichen aus Deutschland

Geöffneter Koffer, in dem verschiedene Dokumente und Fotografien liegen

Franziska Bogdanov beim Auspacken des Koffers von Arno Rosenfeld
Jüdisches Museum Berlin CC-BY Katharina Erbe

In unserem Archiv haben wir Bestände mit ganz unterschiedlichen Überlieferungsgeschichten: Wir erhalten Vorlässe von deutsch-jüdischen Emigranten aus der ganzen Welt, oder deren Kinder wenden sich an uns und übergeben die Nachlässe ihrer Eltern. Einige Stiftungen bekommen wir auch aus Deutschland, oft von Menschen, die selbst nicht jüdisch sind, aber in deren Familien Erinnerungsstücke an jüdische Freunde oder Bekannte überliefert sind.

Ende des vergangenen Jahres erhielten wir eine Schenkung aus dem Nachlass eines ehemaligen Berliners, der kurz zuvor in New Jersey, USA verstorben war. Es handelte sich um einen großen Koffer, der mit Dokumenten, Briefen, Fotografien und auch Objekten bis oben hin gefüllt war.  weiterlesen


Faszination Familiengeschichte

Ein Blick in die Fotosammlung der Familie Radzewski

Wir alle haben eine Familie – ob Vater, Mutter, Kinder, Enkel, Großeltern, Tanten und Onkel oder auch nur Verwandte, die man flüchtig von Familienfeiern oder Fotos kennt. »Der Onkel, der im Ausland lebte, der mit der Tochter und den Enkeln – erinnerst du dich denn nicht mehr?« Das haben wir alle wohl schon mal gehört.

Schwarz-weiß Fotografie: Eine Frau im Kleid und ein siebenjähriges Mädchen stehen an einem Gittertor

Die Stifterin Vera de Jong mit ihrer Mutter Meta Krotoschiner vor dem Eingang ihres Hauses in Chile nach der Emigration, Santiago de Chile, 1952
© Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Vera de Jong, geb. Krotoschiner-Radzewski

Doch was passiert, wenn niemand da ist, der einem alle diese Geschichten immer wieder erzählt? Da bleibt nur ein Foto dieser Menschen – falls man Glück hat –, manchmal eine Postkarte, die jedoch schweigt. So geht es Menschen nicht nur im privaten Rahmen. Auch als Museumsmitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen wir Tag für Tag vor der neuen Herausforderung, insbesondere wenn wir von Stiftern eine Sammlung mit ihren Familienfotografien erhalten haben, die wir inventarisieren. Bei jedem Bild fragen wir uns: Wo war das, wer sind diese Menschen, sind sie nur Freunde oder nahe Verwandte? Was für eine Geschichte steckt hinter diesem Bild?

Zum Glück sind wir nicht alleine – denn die Stifterinnen und Stifter schenken uns meist nicht nur ihre Sammlung, sie erzählen und vertrauen uns ebenfalls ihre Erinnerungen an. So war es auch bei der Familiensammlung von Vera de Jong, geb. Krotoschiner-Radzewski. Vor einem Jahr übergab sie etwa 200 Fotografien den Mitarbeiterinnen der Fotografischen Sammlung unseres Museums (mehr Informationen zur Fotografischen Sammlung auf unserer Website). Meine Aufgabe als wissenschaftliche Volontärin war es nun, diese Bilder zu inventarisieren und ihre Geschichte zu recherchieren. Ich war sofort vom Charme der Bilder bezaubert  weiterlesen