Veröffentlicht von am 9. Mai 2013 0 Kommentare

Ein »Denkmal gegen den Schwachsinn der Nazis«

Einblick in die leere Bibliothek unter dem Bebelplatz

Denkmal der Bücherverbrennung
Dieses Foto von Charlotte Nordahl steht unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Lizenz

Der 10. Mai bildete den Höhepunkt der »Aktion wider den undeutschen Geist«, mit der die deutsche Studentenschaft im Frühjahr 1933 gegen politisch unliebsame oder jüdische Professoren und das ›zersetzende Schrifttum‹ zu Felde zog. Wir alle kennen die Aufnahmen von der sorgfältig vorbereiteten Bücherverbrennung in Berlin und das Denkmal von Micha Ullmann auf dem heutigen Bebelplatz, das den damaligen Flammenrufen eine mahnend stille wie leere Bibliothek entgegen setzt.

Das Jüdische Museum Berlin zeigt nun einige Bücher, die damals aus den Regalen entfernt und den Flammen überantwortet wurden. Es stellt damit Teile der Büchersammlung von George Warburg vor.

Es ist ein Vergnügen, die Einbände, die Gestaltung und den Drucksatz dieser Werke zu betrachten, besonders berührt aber hat uns das Anliegen, das George Warburg mit seiner Sammlung verband: In diesem Videointerview erzählt er nicht nur, welche Werke ihm besonders am Herzen liegen. Er beschreibt seine Sammlung auch als einen Versuch, jene Bücher, die von den Nationalsozialisten verbrannt, verboten oder ausgesondert wurden, nachträglich den Flammen zu entreißen.

Warburgs »Denkmal gegen den Schwachsinn der Nazis« holt das, was Ullmanns unterirdische Bibliothek erinnert, wieder ans Tageslicht.

Mirjam  Wenzel, Medien

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Veröffentlicht von am 29. April 2013 2 Kommentare

Hitzige Kälte

Ein kalter Wind weht Ziegel von Dächern und Hüte vom Kopf. Stürmisch beginnt Robert Schindels neuer Roman Der Kalte, dessen Einstieg man sich hier vom Autor vorlesen lassen kann. Schon in seinem Roman Gebürtig von 1992 überzeugte der 1944 geborene, österreichische Romanautor, Lyriker und Essayist durch eindrückliche Bilder und poetische Sprache. Auch hier erinnert die Anfangsstimmung an den Beginn des expressionistischen Gedichts »Weltende«: »Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut, in allen Lüften hallt es wie Geschrei« (Jakob van Hoddis).

Expressionistisches Gemälde einer apokalyptischen Landschaft

Apokalyptische Landschaft von Ludwig Meidner, 1913
© Ludwig Meidner-Archiv, Jüdisches Museum der Stadt Frankfurt am Main

Mit der ersten Szene von Schindels Roman eröffnet sich allerdings eine Welt: die der sogenannten ›Waldheim-Jahre‹ 1985 bis 1989 in Wien. Im österreichischen Wahlkampf entbrannte damals eine Debatte um den Kandidaten der Konservativen, Kurt Waldheim, und dessen mögliche Beteiligung an Kriegsverbrechen. In seiner Autobiografie hatte er nämlich die Zeit als Wehrmachtsoffizier verschwiegen. Im Roman durch die Figur Johann Wais dargestellt, beteuert er, »dass er nichts anderes getan habe wie hunderttausend andere Österreicher auch.« Gerade deshalb funktioniert er »als unfreiwillige Aufklärungsmaschine«.  weiterlesen


Veröffentlicht von am 16. April 2013 0 Kommentare

Worüber wir reden, wenn wir über Anne Frank reden

Eine Bestandsaufnahme

Bisher haben literarische Texte über jüdische Themen auf unterschiedliche Weise zur Entwicklung der jüdischen Kultur beigetragen. Einige Texte bezweckten die Dokumentation und Wiederbelebung der mündlichen Überlieferung und des Volksmärchens, um sie vor dem Vergessen zu bewahren (z.B. Martin Bubers Die Erzählungen der Chassidim). Mit anderen wurden jüdische Themen der Mehrheitsbevölkerung Seite aus Nathan Englanders Worüber wir reden, wenn wir über Anne Frank redenzugänglich gemacht (wie Sidney Taylors All-of-a-Kind Family), während wieder andere dem Wiederaufbau einer jüdischen Gemeinschaft vor dem Hintergrund gemeinsamer Erfahrungen von Ritual, Emigration und Verfolgung dienten (so Friedrich Torbergs Die Tante Jolesch: oder Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten).

Nathan Englander, einer der anspruchsvollsten und provokantesten Autoren der Gegenwart, teilt keine dieser Absichten. Sein neustes Buch, Worüber wir reden, wenn wir über Anne Frank reden, ist eine Sammlung von acht Kurzgeschichten. Lose zusammengehalten werden sie durch den Titel der ersten Geschichte (der zugleich ein Zitat aus dieser ist), in der es um eine hitzige Debatte über den Genozid geht; der Titel bezieht sich auf Anne Frank nicht als historische Figur, sondern als Metonymie des Opfers. In den Geschichten wird über die Auswirkung jüdischer Themen wie Religion, Holocaust und Israel sowie die moderne jüdische Identität reflektiert. Dabei ist der Blick des Autors der eines Insiders – er wurde 1970 als Sohn jüdisch-orthodoxer Eltern in New York geboren – und zudem kritisch. Mit seinen fesselnden, sehr persönlichen und nahegehenden Geschichten, die an Theaterszenen erinnern und von intensiven Dialogen durchdrungen sind, hinterfragt er die Gültigkeit jüdischer kultureller Praxis:  weiterlesen