Veröffentlicht von am 14. Mai 2013 0 Kommentare

Die lange Nacht des Tikkun

oder was wir von liebenden Frauen lernen können

Vor Kurzem entdeckten wir beim Stöbern im Netz, dass drei junge Jüdinnen eine Gruppe gegründet haben, die sich »für die Vielfalt an unterschiedlichen Facetten jüdischer Identität und … ein sinnstiftendes jüdisches Leben in Berlin« einsetzen möchte. Sie nennt sich Hamakom (hebräisch: ›der Ort‹) und will unter anderem die Begegnung von Israelis und jüdischen Deutschen fördern. Als erste Veranstaltung führt diese Gruppe nun einen Tikkun lel Schawuot zum Thema »Frauen & Liebe« durch. Der Veranstaltungsname ist Programm: Er knüpft an die Tradition an, in der Nacht zu Schawuot bestimmte biblische Texte und deren Auslegungen zu studieren und zu diskutieren. Diese Wahl zeigt, welche Bedeutung das Fest in diskursiv angelegten jüdischen Selbstverständigungsprozessen hat.

Holzschnitt: Rut und Noomi im Feld

Jakob Steinhardt, Illustration zum Buch Rut, 1955-1959, Holzschnitt
© Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Josefa Bar-On Steinhardt, Naharyia, Israel

Schawuot beginnt dieses Jahr am Abend des 14. Mai und endet zwei Tage später. Es ist ein Feiertag von ungewöhnlich vielfältiger Bedeutung, der in jeder Epoche neu entdeckt und definiert wurde. Ursprünglich war er dem Beginn der Erntezeit gewidmet, die eine Pilgerreise in den Jerusalemer Tempel umfasste. Dort brachte man Erstlingsfrüchte und zwei Weizenbrote dar. Im Talmud gilt Schawuot als das Fest, an dem das Volk Israel die Tora empfing. Um sich auf diese Gabe vorzubereiten, wird  der Feiertag hier auch als Azeret beschrieben, eine feierliche Versammlung, die vor allem eine Nacht des gemeinsamen Nachdenkens und Diskutierens währt. Das Tikkun lel Schawuot, wie dieses nächtliche Symposium im Hebräischen heißt, bedeutet wörtlich übersetzt: ›die Verbesserung in der Nacht des Wochenfests‹. Es wurde zum ersten Mal im kabbalistischen Sohar-Buch erwähnt und gewann im 16. Jahrhundert an Bedeutung.

Die jüdische Version des gemeinsamen Studierens und Diskutierens unterscheidet sich von ihrem griechischen Pendant,  weiterlesen

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Veröffentlicht von am 6. Mai 2013 2 Kommentare

Frage des Monats:
»Warum beugen sich manche Juden beim Beten?«

Unsere aktuelle Sonderausstellung »Die ganze Wahrheit … was Sie schon immer über Juden wissen wollten« baut auf 30 Fragen auf, die an das Jüdische Museum Berlin oder dessen Mitarbeiter gerichtet wurden. In der Ausstellung haben unsere Besucherinnen und Besucher selbst die Möglichkeit, auf Post-its Fragen oder Kommentare zu hinterlassen. Einige dieser Fragen beantworten wir hier im Blog. Nach der Frage: »Wie hält die Kippa auf dem Kopf?«, kommt die Frage dieses Monats von Boris: »Warum beugen sich manche Juden beim Beten?«

Post it-Zettel mit der Frage des Monats und der Zeichnung eines sich bewegenden Mannes

»Warum Beugen sich manche Juden beim beten. Boris«
© Foto: Thomas Valentin Harb, Jüdisches Museum Berlin

Lieber Boris,
Deine Frage, warum sich religiöse Juden während des Betens hin und her bewegen, wird von vielen Menschen gestellt. Dieser sehr alte Brauch wird im Jiddischen »Schokln« genannt und bedeutet wackeln, schütteln oder schaukeln. Wie bei manchen Bräuchen ist es leichter zu beschreiben, wann und wo etwas ausgeübt wurde, als eindeutig zu beantworten, warum beim Lernen aus der Tora und beim Beten geschokelt wird.  weiterlesen


Veröffentlicht von am 19. April 2013 5 Kommentare

Von Wagner bis zum Wetter

Meine zwei Stunden als lebendiges Ausstellungsstück in der Ausstellung »Die ganze Wahrheit«

Das war eine wahrlich außergewöhnliche Erfahrung. Die besten Momente waren die, als die Besucher nicht nur mit mir in der Vitrine, sondern untereinander zu reden anfingen. Diese Gespräch führten dann von Wagner bis zum Wetter und kreisten nicht ›nur‹ darum, wie es sich anfühlt, in Deutschland jüdisch – in meinem Fall als Tochter einer amerikanischen Jüdin und eines deutschen, ehemals evangelischen Vaters – aufgewachsen zu sein, und ob es nicht merkwürdig ist, in so einer Glasvitrine zu sitzen.

Eine Frau sitzt auf einer Bank in einem vorne offenen Glaskasten

Signe Rossbach in der Ausstellung »Die ganze Wahrheit«, 8. April 2013
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Michal Friedlander

Ich musste plötzlich an meinen Abschied aus New York denken, als ich 1998 nach Deutschland zurückkehrte (obwohl ich mir das damals nicht so eingestehen wollte). Mein Chef, ein deutscher Verleger in New York, war gerade vom neugewählten Kanzler zum ersten deutschen Staatsminister für Kultur ernannt worden, und er hatte mir angeboten, im Kanzleramt weiter für ihn zu arbeiten, erst in Bonn, dann in Berlin. Beim Abschiedsumtrunk im Verlag, also, grinste ein Lektor: »Na, in der deutschen Regierung zu arbeiten, das ist ja der perfekte Job für eine brave kleine Jüdin!« Ich dachte darüber nach und sagte: »Genau.«

So kam ich dann auf Umwegen ins Jüdische Museum Berlin, wo ich seit zwölf Jahren arbeite, und – an einem scheinbar ruhigen Montagmittag – letztendlich auch in diese Vitrine. In meinen zwei Stunden als lebendiges Ausstellungsstück ….  weiterlesen