»War denn Goethe auch ein Jude?«

Wenn man unseren Bibliothekskatalog nach Goethe befragt, könnte man auf diese Idee kommen:  70 Treffer von und über den deutschen Dichter (bei Schiller sind es 16). Und in unserer Dauerausstellung stand vor einigen Jahren noch die stattliche Goethe-Ausgabe der Cotta’schen Buchhandlung aus dem Jahr 1867. Viele Besucher fragten damals unseren Besucherservice: »War denn Goethe auch ein Jude?« Nein, war er nicht, aber er galt vielen deutschen Juden als Inbegriff der deutschen Kultur und seine Werke symbolisierten die  Zugehörigkeit zum deutschen Bildungsbürgertum.

Vitrine mit Goethe-Büste und Büchern im Museumsraum

Ehemalige Goethe-Installation in der Dauerausstellung
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Marion Roßner

Vor einigen Monaten hat uns die Richard M. Meyer Stiftung über hundert Bücher von und über den Bankierssohn, Kunstsammler, Literaturwissenschaftler und eben Goethe-Forscher Richard M. Meyer geschenkt. Meyer hat nie eine ordentliche Professur bekommen, seine 1895 erschienene Goethe-Biographie wurde prämiert und in zahlreichen mehr- und einbändigen, Vorzugs- und Volksausgaben aufgelegt. Darin heißt es, Goethe habe »die Nationalitäten nur als Übergangsformen« angesehen (Volksausgabe 1913, S. 352). Solche Äußerungen veranschaulichen das Dilemma deutsch-jüdischer Assimilation dieser Zeit. Rückte ein jüdischer Interpret Goethes Kosmopolitismus in den Vordergrund, setzte er sich dem Vorwurf aus, das deutsche Wesen zu verkennen;  weiterlesen


Kennen Sie Eva Samuel?

Aufruf zur Anerkennung vergessener Künstlerinnen

»Wir haben mit Steinen nach ihr geworfen; wir dachten, sie sei eine Hexe.« So erinnert sich eine ehemalige Bewohnerin von Rishon LeZion heute schuldbewusst an ihre Begegnungen mit der Bildhauerin und Puppenherstellerin Edith Samuel. Edith, die ihre langen, dunklen, in Europa üblichen Röcke auch unter der sengenden Sonne des Nahen Ostens trug, litt an einer Fehlbildung. Die Tochter eines liberalen, deutschen Rabbiners und ihre Schwester Eva, die ebenfalls Künstlerin war, verließen in den 1930er Jahren ihre Geburtsstadt Essen und wanderten nach Palästina aus.

Foto von einer Töpferscheibe und weiterem Zubehör

Die Töpferscheibe von Paula Ahronson, der Geschäftspartnerin von Eva Samuel, befindet sich in Privatbesitz und ist seit ihrem Tod 1998 nicht mehr in Betrieb
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Michal Friedlander

Dort gelang es den Schwestern trotz harter Arbeit kaum, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und gebührende Anerkennung blieb ihnen ein Leben lang versagt. Vergessenen Künstlerinnen wie ihnen verhilft das Jüdische Museum Berlin nun zu einem Platz im Licht der Öffentlichkeit. Die Ausstellung »Ton in Ton« zeigt Keramiken von Eva Samuel und anderen Künstlerinnen, die Deutschland nach 1933 verlassen mussten.

Meine Beschäftigung mit vertriebenen deutsch-jüdischen Frauen in der Angewandten Kunst begann viele Jahre vor meiner Begegnung mit den Samuel-Schwestern. Emmy Roth war die Erste, deren Geschichte mein Interesse weckte.  weiterlesen


Kunst, Müll und Einwegrealismus

Gespräch mit Andrei Krioukov

Zwei zerquetsche Coladosen, eine mit hebräischer, eine mit arabischer Aufschrift

Künstlerisch bearbeitete Coca-Cola-Dosen
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

Andrei Krioukov hat für den Kunstautomaten Coca-Cola-Dosen mit hebräischer und arabischer Aufschrift bearbeitet und zerquetscht. Ich traf ihn und seine Frau Rita in ihrer gemeinsamen Kunstschule in der Immanuelkirchstraße. Dort unterrichtet Andrei internationale Studenten, die sich bei ihm ausbilden und staatlich anerkannt prüfen lassen.

Im persönlichen Gespräch erzählt Andrei von seiner Faszination für das Design der berühmten Dosen und erklärt, was daran Müll und was daran Kunst ist.

Christiane Bauer: Andrei, was fasziniert dich an einer Coca-Cola-Dose?

Andrei Krioukov: Eine Dose ist typisch für unser Leben heute. Überall findet man sie, aber fast niemand bemerkt sie. Für mich ist dabei auch die Diskrepanz zwischen Müll und Kunst spannend: Wenn eine Dose auf der Straße liegt, ist sie einfach nur Müll. Aber wenn ich sie aufhebe und sie genau betrachte und mir überlege, was ich daraus mache, dann wird daraus Kunst.
Ein Künstler aus dem 19. Jahrhundert malte Knoblauch, eine Zwiebel oder einen Krug. Heute ist unser Leben voll mit den Coca-Cola-Dosen.

Der Krug wurde als Alltagsgegenstand in einem Stillleben abgezeichnet. Welche Wertigkeit hat die Dose? Betrachtest du eine Coca-Cola-Dose als Wegwerfartikel oder als modernes Kulturgut?   weiterlesen